10. August 2020

Der EuGH und der „Widerrufsjoker“ – Rückenwind für Verbraucher?

Kategorien: Allgemein

Selbst während einer Corona-Pandemie mahlen die Mühlen der Justiz stetig weiter. So hat die sechste Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mit Urteil vom 26.03.2020 das Verbraucherwiderrufsrecht gestärkt. Viele Verbraucher nehmen diese Entscheidung zum Anlass, in Zeiten erheblicher finanzieller Engpässe davon zu profitieren. Erfahren Sie hier Ihre Möglichkeiten und Details zu „Der EuGH und der ‚Widerrufsjoker’“.

Der EuGH und der „Widerrufsjoker“ – der Verbraucherwiderruf und die „Kaskadenverweisung“

Der EuGH hatte sich mit der Rechtmäßigkeit der Widerrufsbelehrung eines Verbraucherdarlehensvertrags der Kreissparkasse Saarlouis beschäftigt. Die Widerrufsbelehrung verweist zur Berechnung der Widerrufsfrist auf zahlreiche weitere Normen des deutschen Rechts.

Die Kreissparkasse hatte eine gesetzliche Musterwiderrufsbelehrung verwendet, die bundesweit von Banken seit Jahren in Widerrufsklauseln übernommen wird. Die Entscheidung des EuGH lässt sich daher auf sehr viele deutsche Verbraucherdarlehensverträge übertragen.

So entschied der EuGH, dass die gesetzliche Musterwiderrufsbelehrung nicht den unionsrechtlichen Anforderungen genügt. Laut EuGH ist die Widerrufsfrist für den Verbraucher nicht transparent genug. Grund: Sie verweist auf weitere Normen im Wege einer sogenannten „Kaskadenverweisung“. Laut dem Gericht muss die Widerrufsbelehrung die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist stattdessen in klarer und prägnanter Form angeben. Andernfalls könne das durch die EU-Richtlinie verlangte hohe Maß an Schutz für die Verbraucher nicht gewährleistet werden.

Daraus folgt, dass die Widerrufsbelehrung unwirksam ist und die Widerrufsfrist nie anfing zu laufen. Deshalb könnten betroffene Verbraucher ihre Darlehensverträge grundsätzlich auch viele Jahre nach Vertragsschluss widerrufen.

Der EuGH und der „Widerrufsjoker“ – die Rechtsauffassung des BGH

Ein im März 2020 veröffentlichter Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) schiebt der aufkeimenden Euphorie jedoch entschieden einen Riegel vor. Der BGH beruft sich dabei sogar auf die ständige Rechtsprechung des EuGH, dass die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen dürfe.

Denn um das EuGH-Urteil umzusetzen, müsste gegen die ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers verstoßen werden, dass eine dem gesetzlichen Muster entsprechende Widerrufsinformation den Anforderungen an eine klare und verständliche Information über das Widerrufsrecht genügt. Schließlich hatte der BGH in der Vergangenheit mehrfach entschieden, dass das deutsche Gesetz und der Wille des deutschen Gesetzgebers in dieser Sache derart eindeutig seien, dass eine entgegenstehende richtlinienkonforme Auslegung ausscheide.

Unsere Empfehlung zu: der EuGH und der „Widerrufsjoker“

Auch wenn das deutsche Recht grundsätzlich im Lichte der EU-Richtlinien ausgelegt werden muss, ist zum aktuellen Zeitpunkt unklar, wie sich die Rechtsauffassung des BGH während eines potenziellen Instanzenzuges entwickelt. Dies ist auch unter unseren Anwaltskollegen umstritten. Die Banken sehen sich jedenfalls durch den BGH bestärkt. Sollten Sie den „Widerrufsjoker“ ziehen wollen, müssen Sie mit einem Rechtsstreit rechnen.

Bevor Sie unüberlegt und vorschnell handeln, prüfen wir gewissenhaft, ob Ihr Verbraucherdarlehensvertrag von dem EuGH-Urteil betroffen ist und welche Erfolgschancen sich dadurch für Ihren „Widerrufsjoker“ ergeben. Sodann erörtern wir für Sie die bestmögliche Weiterung in Ihrem Sinne.

 

 

Johannes Dähnert

CSO, CCO, CHRO, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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