9. Juli 2020

Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Rückforderungsansprüche gegen ehemalige freie Mitarbeiter in Scheinselbstständigkeit

Kategorien: Allgemein

Im Rahmen einer gewöhnlichen sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung werden schwerpunktmäßig auch die arbeits- und dienstvertraglichen Verhältnisse des Unternehmens überprüft. Hierbei werden unter anderem Verdachtsfälle der Scheinselbstständigkeit genauestens unter die Lupe genommen. Erfahren Sie hier, wie dies nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) für freie Mitarbeiter in Scheinselbstständigkeit empfindliche Konsequenzen haben kann.

Freie Mitarbeiter in Scheinselbstständigkeit aus Arbeitgebersicht: Der Beitragsabzug und seine Grenzen

Wenn eine Betriebsprüfung ergibt, dass ein ehemaliger freier Mitarbeiter aus rechtlicher Sicht ein Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitgeber oder Auftraggeber eingegangenen ist, wirft dies in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht finanzielle Fragen auf.

Grundsätzlich zahlen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge. Der Arbeitnehmer entrichtet seine Beiträge dabei nicht „selbst“, sondern sie werden auf Veranlassung des Arbeitgebers umgehend vom Bruttolohn abgezogen. Der Lohn wird während der freien Mitarbeit als Honorar bezeichnet. Nur so können Arbeitgeber Beitragszahlungen ihrer freien Arbeitnehmer bewirken, das ist im Sozialgesetzbuch geregelt (§ 28 g Abs. 1 S. 2 SGB IV).

Arbeitgeber dürfen versäumte Beitragsabzüge bei den drei darauffolgenden Lohnzahlungen nachholen, auch das ist dort geregelt (§ 28 g Abs. 1 S. 3 SGB IV).

Nach Beendigung der Tätigkeit des Arbeitnehmers ist allerdings keine fortlaufende Lohnzahlung mehr vorhanden, von der die Beiträge abgeführt werden könnten. Ein nachträglicher Zahlungsanspruch des Arbeitgebers war bisher kaum zu konstruieren. Dies gilt insbesondere, wenn sich im Nachhinein höhere Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers und dadurch in der Konsequenz überzahlte Arbeitslöhne ergeben.

Können Arbeitgeber zu viel gezahlten Arbeitslohn zurückfordern

Im vergangenen Jahr gab es dann frohe Kunde für die Arbeitgeber der Bundesrepublik. So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18 (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 30.10.2017 – 11 Sa 66/16)), dass der Arbeitgeber die Rückzahlung überzahlter Honorare unter zwei Voraussetzungen verlangen kann

  1. Wenn der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt wird und
  2. wenn die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger ist als das für die freie Mitarbeit vereinbarte Honorar.

Individuelle Vergütungsvereinbarungen benötigen besondere Anhaltspunkte

Eine für freie Mitarbeit individuell getroffene Vergütungsvereinbarung kann in der Regel nicht zugleich für eine Beschäftigung im Arbeitsverhältnis als maßgeblich angesehen werden. Für eine solche Annahme bedarf es besonderer Anhaltspunkte, die laut Bundesarbeitsgericht (BAG) der Arbeitnehmer darlegen muss. Fehlt es daran, ist nach § 612 Abs. 2 BGB die „übliche Vergütung“ geschuldet, welche je nach Branche und konkreter Beschäftigung zu bestimmen ist.

Rückzahlung überzahlter Honorare: Was Arbeitgeber wissen müssen

Bei der Rückzahlung überzahlter Honorare muss sich der Arbeitgeber im Rahmen des Bereicherungsausgleichs nach § 812 Absatz I 1 Alt. 1 BGB nicht nur die im Arbeitsverhältnis geschuldete Bruttovergütung, sondern auch die hierauf entfallenden Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag anrechnen lassen.

Sollte der Arbeitgeber während der freien Mitarbeit nicht über die Rechtslage informiert sein, führt dies regelmäßig nicht dazu, dass der Rückforderungsanspruch im Anschluss nicht besteht. Sollte der Weg der Scheinselbstständigkeit des Mitarbeiters bewusst vom Arbeitgeber gefordert worden sein, können sich die nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge wiederum aus dem tatsächlich gezahlten Honorar als Nettoentgelt berechnen (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV).

Vorsteuerabzug freier Mitarbeiter rückgängig gemacht – Arbeitgeber haftet

Aus steuerlicher Sicht ist denkbar, dass der freie Mitarbeiter den Vorsteuerabzug rückgängig machen muss und der Arbeitgeber für eine unzureichende Einbehaltung steuerlicher Abzüge, zum Beispiel für den Lohnsteuerabzug, haften muss.

Unsere Einschätzung

Wir raten unseren Mandanten grundsätzlich von Scheinselbstständigkeitsmodellen ab! Die sind mit hohen Strafen belegt und bergen viele rechtliche Unsicherheiten, wie das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt.

Wir empfehlen bei jeder Beschäftigung eines Arbeitnehmers von Beginn an Transparenz. So sind Sie rechtlich auf der sicheren Seite. Sie können das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV (Sozialgesetzbuch) in die Wege leiten und Unklarheiten direkt ausräumen.

Bedenken Sie, dass jeder Fall anders ist. Wir beraten Sie gerne.

Johannes Dähnert

CSO, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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