8. April 2021
Stromlieferung als selbstständige Hauptleistung neben steuerfreier Vermietung
Inhaltsverzeichnis
- Stromlieferung als selbstständige Haupt- oder Nebenleistung? Entscheidung vor dem Bundesfinanzhof
- Kläger betrieb eine Photovoltaikanlage und vermietete umsatzsteuerfrei
- Überschüssiger Strom an lokalen Stromanbieter geliefert
- Abrechnung des Stroms über Gemeinschafts- und Unterzähler vertraglich vereinbart
- Kläger macht Vorsteuerbeträge aus der Anschaffung der Photovoltaikanlagen geltend: Finanzamt widerspricht
- Finanzgericht ging bei der Stromlieferung von einer Hauptleistung aus
- Finanzgericht Niedersachsen folgt europäischer Rechtsprechung
- Indizien für eine selbstständige Hauptleistung nach den Kriterien des EuGHs
- Argumentation des Finanzamts griff nicht
- Kläger bestreitet Interesse, Strom an Mitparteien zu liefern, nicht
- Unsere Einschätzung
Finanzbehörden behandelten die Stromlieferung bislang als Nebenleistung zur steuerfreien Vermietung. Nun gibt es eine Rechtsprechung, die von Stromlieferung als selbstständiger Hauptleistung neben steuerfreier Vermietung ausgeht. Wir liefern Ihnen einen Überblick.
* Am 17. Juni 2021 aktualisiert
Stromlieferung als selbstständige Haupt- oder Nebenleistung? Entscheidung vor dem Bundesfinanzhof
Die Finanzverwaltung geht bisher davon aus, dass die Lieferung von Strom durch den Vermieter als Nebenleistung zur steuerfreien Vermietung anzusehen ist. Das Finanzgericht Niedersachsen (FG Niedersachsen) trat dieser Ansicht entgegen und geht bei einer Stromlieferung von einer selbstständigen Hauptleistung neben der steuerfreien Vermietungsleistung aus. Das Verfahren ist nun beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig. Die Hintergründe und die Auswirkungen stellen wir Ihnen nachfolgend dar.
Kläger betrieb eine Photovoltaikanlage und vermietete umsatzsteuerfrei
Der Kläger vermietete nach § 4 Nr. 12 Buchst. a) Umsatzsteuergesetz (UStG) umsatzsteuerfrei ein Mehrfamilienhaus und ein Doppelhaus. Das Mehrfamilienhaus wurde im August 2018 fertiggestellt und ab diesem Zeitraum vermietet. Die Stromlieferung erfolgte dabei zunächst durch einen regionalen Stromanbieter. Das Doppelhaus wurde im Juni 2019 fertiggestellt.
Auf den Dächern der beiden Objekte hatte der Kläger in den Folgemonaten jeweils eine Photovoltaik-Anlage inklusive eines Batteriespeichers installiert. Die Anlagen wurden 2018 installiert. Für beide Anlagen wurden zwei Messungen verbaut. Die erste Messung erfasst die Gesamtproduktion des Stroms. Der erzeugte Strom, der direkt über den Batteriespeicher an die Mieter fließt, läuft über eine entsprechende Messung.
Überschüssiger Strom an lokalen Stromanbieter geliefert
Der überschüssige Strom wurde an den lokalen Stromanbieter geliefert. Der von den Mieter:innen benötigte und verbrauchte Strom wurde im Namen und im Auftrag des Klägers über den Energielieferanten E-GmbH bzw. C-AG zusätzlich eingekauft und mit einem Gewinnaufschlag an die Mieter:innen verkauft. Die entsprechenden Vereinbarungen mit dem lokalen Stromanbieter und der C-AG datieren von Februar 2019.
Den Betrieb der Photovoltaikanlage zeigte der Kläger in seiner Kommune als gewerbliche Betätigung an.
Abrechnung des Stroms über Gemeinschafts- und Unterzähler vertraglich vereinbart
Der Kläger rechnet mit den Mietparteien jährlich über einen Gemeinschaftszähler im jeweiligen Haus und entsprechenden Unterzählern nach der individuellen Verbrauchsmenge ab. Hierüber hatte der Kläger mit den Mieter:innen eine „Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag über Stromversorgung“ geschlossen. Danach erfolgte die Versorgung der Mieter:innen mit Strom ab 20.11.2018 über die installierte Photovoltaik-Anlage. Der mit den Mieter:innen vereinbarte Arbeitspreis betrug seinerzeit 27 ct/kwh (inkl. USt). Nach § 1 der Zusatzvereinbarung hatten die Mieter:innen (auch) für den Strom einen monatlichen Abschlagsbetrag zu entrichten, der dann mit der Jahresabrechnung verrechnet wurde. In den Mietverträgen war mit den Mietparteien im Übrigen vereinbart, dass sie neben der Netto-(Kalt)miete eine „Vorauszahlung auf die allgemeinen Betriebskosten“ entrichten mussten. Nach § 7 Nr. 1 der (Formular-)Mietverträge war die Stromversorgung in diesen allgemeinen Betriebskosten nicht enthalten.
In § 7 Nr. 2 heißt es wörtlich: „Der Mieter rechnet mit den Versorgungsunternehmen im eigenen Namen über den Verbrauch von Gas und Strom ab.“
In § 13 der Mietverträge ist im Übrigen bestimmt, dass bauliche Veränderungen am Mietobjekt der Zustimmung des Vermieters (also des Klägers) bedürfen.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der „Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag über die Stromleistung“ kann der Stromlieferungsvertrag mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden.
Außerdem war dort geregelt, dass der/die Mieter:in für den Fall, dass er nach der Kündigung anderweitig den Strom bezieht, die Kosten der Umbaumaßnahmen der Zähleranlage zu tragen hat (§ 2 Abs. 2 Satz 2 der Zusatzvereinbarung).
Kläger macht Vorsteuerbeträge aus der Anschaffung der Photovoltaikanlagen geltend: Finanzamt widerspricht
In seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 2018 machte der Kläger Vorsteuer geltend. Darin waren Vorsteuerbeträge aus der Anschaffung der Photovoltaikanlagen enthalten. Das beklagte Finanzamt (FA) ließ den Vorsteuerabzug aus der Anschaffung der Photovoltaikanlage nicht zum Abzug zu. Zur Begründung verwies das FA darauf, dass es sich bei der Stromlieferung seitens des Klägers an die Mieter um eine Nebenleistung zur steuerfreien Hauptleistung (Vermietung) handele, da über den Verbrauch nicht individuell abgerechnet werde.
Gegen diese ablehnende Entscheidung des FA legte der Kläger Einspruch ein. Er begründete diesen damit, dass nach seiner Auffassung Stromerzeugung und Lieferung an die Mieter:innen einerseits und Vermietungsleistung andererseits zwei getrennte selbstständige Leistungen darstellten.
Finanzgericht ging bei der Stromlieferung von einer Hauptleistung aus
Das FG Niedersachsen schloss sich der Ansicht des Klägers an. Nach der Rechtsprechung des EuGHs und des BFH gelten für die Frage, ob mehrere Tätigkeiten umsatzsteuerrechtlich nur zu einem Umsatz oder mehreren eigenständigen Umsätzen führen, folgende Grundsätze:
Jeder Umsatz ist in der Regel als eigenständige, selbstständige Leistung zu betrachten; allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Deshalb sind nach zutreffender Rechtsauffassung von EuGH und BFH die charakteristischen Merkmale des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Unternehmer gegenüber dem Leistungsempfänger mehrere selbstständige Leistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt. Entscheidend ist dabei die Sicht des sogenannten Durchschnittsverbrauchers.
Eine einheitliche Leistung läge insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen sind, die das steuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den/die Leistungsempfänger:in keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des/der Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das Gleiche gilt, wenn der/die Unternehmer:in für den/die Leistungsempfänger:in zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Um eine (unselbstständige) Nebenleistung handelt es sich mithin dann, wenn eine Leistung im Zusammenhang mit einer anderen Leistung steht, im Verhältnis zu dieser nebensächlich ist und in deren Gefolge üblicherweise vorkommt.
Vor diesem Hintergrund hatte die Rechtsprechung lange Zeit die Lieferung sogenannter Mietnebenkosten – zum Beispiel Wasser aber auch Strom – üblicherweise den Nebenleistungen zur Hauptleistung „Vermietung“ zugerechnet (vgl. z.B. BFH-Urt. v. 15.1.2009 – V R 91/07). Diese Auffassung wird aktuell auch weiterhin von der Finanzverwaltung in Abschn. 4.12.1 Abs. 5 Satz 3 Umsatzsteuer-Anwendungserlass geteilt.
Finanzgericht Niedersachsen folgt europäischer Rechtsprechung
In jüngerer Zeit hatte der Europäische Gerichtshof im Rahmen seiner Entscheidung in der polnischen Rechtssache Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie seine Rechtsprechung zur Abgrenzung von Hauptleistungen und Nebenleistungen einerseits und selbstständig nebeneinander stehenden (Haupt-)Leistungen andererseits fortentwickelt und konkretisiert. Er hat dabei vor allem herausgestellt, dass dann, wenn die Mietpartei die Möglichkeit hat, Lieferant:innen und/oder Nutzungsmodalitäten der in Rede stehenden Gegenstände oder Dienstleistungen auszuwählen, die Leistungen, die sich auf diese Gegenstände oder Dienstleistungen beziehen, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt anzusehen sind.
Wörtlich heißt es: „Insbesondere wenn der Mieter über seinen Verbrauch von Wasser, Elektrizität oder Wärme, die durch die Anbringung von individuellen Zählern kontrolliert und in Abhängigkeit dieses Verbrauchs abgerechnet werden können, entscheiden kann, können die Leistungen, die sich auf diese Gegenstände oder Dienstleistungen beziehen, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt angesehen werden. (…) In diesem Fall ändert der bloße Umstand, dass die Nichtzahlung der Nebenkosten dem Vermieter die Kündigung des Mietvertrags ermöglicht, nichts daran, dass die Leistungen, auf die sich diese Nebenkosten beziehen, von der Vermietung getrennte Leistungen darstellen.“
Indizien für eine selbstständige Hauptleistung nach den Kriterien des EuGHs
Das Vorhandensein von individuellen Zählern zur Ermittlung der jeweiligen Verbrauchsmenge durch den/die Mieter:in sieht der EuGH mithin als wichtiges Indiz dafür an, dass die Lieferung von Versorgungsleistungen wie zum Beispiel Strom als eine von der Vermietung getrennte Leistung anzusehen sei (EuGH v. 16.4.2015, a.a.O. Rz. 45).
Auch der BFH habe in seiner neueren Rechtsprechung die Rechtsauffassung des EuGH aufgegriffen und in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 darauf verwiesen, dass insbesondere den Mietnebenkosten zugrunde liegende Leistungen – wie das Zurverfügungstellen von Wasser, Elektrizität oder Wärme – über deren Verbrauch der Mieter:innen entscheiden kann und die durch die Anbringung von individuellen Zählern kontrolliert und in Abhängigkeit des Verbrauchs abgerechnet werden, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt anzusehen sind.
Im Streitfall hatte der Kläger unstreitig die Verbrauchsmenge des Stroms mit seinen Mieter:innen über individuelle (Unter-)Zähler abgerechnet. Vor dem Hintergrund der neueren BFH- und EuGH-Rechtsprechung ist dies schon ein gewichtiges Indiz dafür, hier getrennte Leistungen – Vermietungsleistungen und Stromlieferung – anzunehmen. Dafür spricht auch, dass der Kläger mit seinen Mieter:innen individuelle (Zusatz-)Vereinbarungen über die Stromlieferung abgeschlossen hat, in denen auch vom Mietvertrag abweichende Kündigungsmöglichkeiten des Stromlieferungsvertrags vorgesehen sind.
Argumentation des Finanzamts griff nicht
Das Finanzamt hatte im Klageverfahren das Argument angeführt, dass die Mieter:innen faktisch keine freie Wahl des Stromanbieters hätten, weil sie dann aufgrund der mit dem Kläger geschlossenen Zusatzvereinbarung die erforderlichen Umbaukosten tragen müssten. Das Finanzgericht Niedersachsen schloss sich dieser Sichtweise allerdings nicht an. Richtig sei zwar, dass der EuGH in seiner Entscheidung Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie (a.a.O.) die Möglichkeit einer individuellen Abrechnung durch den/die jeweilige:n Mieter:in deshalb angeführt hat, weil der/die Mieter:in dann anhand seines bzw. ihres persönlichen Verbrauchs einen Stromanbieter (laut EuGH „Lieferanten/ Nutzungsmodalitäten“) frei wählen konnte.
Dies wurde aber auch im Streitfall durch die zwischen dem Kläger und den Mietparteien getroffenen Vereinbarungen nicht ausgeschlossen.
Kläger bestreitet Interesse, Strom an Mitparteien zu liefern, nicht
Der Kläger hat ein Interesse daran, dass die Mieter:innen den Strom von ihm beziehen. Dieses Interesse hat er nicht bestritten. Wichtig ist nur, dass die Mietparteien die generelle Möglichkeit haben, den Stromlieferungsvertrag mit dem Kläger zu kündigen und zu einem anderen Anbieter zu wechseln. Dass dann Umbaukosten von etwa 400 bis 500 Euro anfielen, erschwere einen solchen Wechsel zwar, mache ihn aber nicht unmöglich. Denkbar sei im Übrigen auch, dass derartige Umbaukosten ganz oder teilweise von einem neuen Stromlieferanten abhängig von der Höhe der Kosten übernommen werden. Angesichts des derzeit herrschenden Wettbewerbs in dieser Branche sei das nicht unrealistisch. Wichtig ist nur, dass die Mietparteien generell in der Wahl des Stromanbieters frei sind. Im Übrigen entsprach der mit dem Kläger vereinbarte Arbeitspreis von 27 ct/kwh ungefähr dem im Jahr 2018 von anderen Anbietern verlangten Arbeitspreis.
Unsere Einschätzung
Das FG Niedersachsen hat die Revision zugelassen, ein Aktenzeichen beim BFH ist allerdings noch nicht vergeben. Es bleibt somit abzuwarten, wie sich das Verfahren fortentwickelt. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH ist zu erwarten, dass die Position der Finanzverwaltung die Stromlieferung generell als Nebenleistung zur Vermietungsleistung zu qualifizieren, wohl nicht dauerhaft Bestand haben wird.
Vermieter:innen, welche zugleich auch an Mieter:innen Mieterstrom verkaufen, sollten daher überprüfen, ob und wie weit die vertraglichen Vereinbarungen mit dem dargestellten Verfahren vergleichbar sind und möglicherweise. die umsatzsteuerlichen Konsequenzen ziehen. Gerne sind wir Ihnen bei der Beratung und Ausgestaltung behilflich.
* Update: Die Finanzverwaltung hat Revision eingelegt. Das Verfahren ist beim BFH unter dem Az. XI R 8/21 anhängig.