20. August 2021

Rückforderung von Handelsvertreterprovisionen sind Dauerbrenner im Vertriebsrecht

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Bei der Vermittlung von Versicherungen ist es branchenüblich, dass Provisionen nach Abschluss beziehungsweise beim Zustandekommen des Versicherungsvertrages nahezu vollständig an Versicherungsvermittler:innen ausgezahlt werden. Doch kommt es immer wieder zum Streit, wenn es um die Rückforderung von Handelsvertreterprovisionen geht. 

Stornohaftungszeit als Grundlage zur Rückforderung von Handelsvertreterprovisionen

Um zu verhindern, dass Versicherungsvermittler:innen nicht unlauter davon profitieren, dass Versicherungsnehmer:innen zeitnah eine frisch abgeschlossene Versicherung wieder aufgeben bzw. wechseln, steht der gezahlte Vorschuss für einen festgelegten Zeitraum unter dem Vorbehalt einer Rückforderung. Dieser Zeitraum wird Stornohaftungszeit genannt. Bei privaten Kranken- und Lebensversicherungen ist gesetzlich eine Stornohaftungszeit von 60 Monaten (§ 49 I VAG) vorgesehen. In dieser Zeit “verdient” der Vermittler oder die Vermittlerin die Provision in monatlichen Teilbeträgen endgültig.

Rückforderungen von Handelsvertretetprovisionen erfolgen nach dem Grundsatz: pro rata temporis

Der Grundsatz dahinter wird mit “pro rata temporis” beschrieben, was soviel bedeutet wie “anteilige Gleichbehandlung”. Sollte der vermittelte Vertrag vor Ablauf der Stornohaftungszeit aufgehoben werden, steht dem Versicherungsunternehmen ein anteiliger Anspruch auf Rückzahlung der Provision zu, konkret bezogen auf diejenige Stornohaftungszeit, für die keine Versicherungsprämien mehr gezahlt werden. Voraussetzung für die Rückforderung der Provision ist, dass die Nichtausführung des Versicherungsvertrages auf Umständen beruht, die das Unternehmen nicht zu vertreten hat. Details dazu finden sich in §§ 92 II, 87a III S. 2 HGB. Die Beurteilung der Art und des Umfangs des Vertretens des Versicherungsunternehmens führt in der Praxis zu zahlreichen gerichtlichen Streitigkeiten.

Aktuelle Rechtsprechung

In einer jüngsten Entscheidung hat das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 04. Juni 2021 2 U 5/18) die für den Vermittler nachteilige Entscheidung der 1. Instanz aufrechterhalten. Die Vorinstanz verurteilte den Versicherungsvermittler auf anteilige Rückzahlung der Provision von rund 139.000 Euro nach Kündigung der vermittelten privaten Krankenversicherung innerhalb der Stornohaftungszeit. Das Gericht stellt fest, dass der Unternehmer die Nichtausführung des Vertrages nicht zu vertreten habe, wenn er darlegen und beweisen könne, dass er sich „in ausreichender Weise um die Rettung der stornogefährdeten Verträge“ bemüht habe.
Art und Umfang dieser Nachbearbeitungsbemühungen würden sich nach den Umständen des Einzelfalls richten. Im konkreten Fall hat das Gericht als ausreichend angesehen, dass das Versicherungsunternehmen dem Versicherungsvermittler die Kündigung weitergeleitet und er dadurch nachweisbar alle notwendigen Informationen gehabt habe, um selbst Nachbearbeitungsmaßnahmen ergreifen zu können.
Der Gesetzgeber überlasse nämlich dem Versicherungsunternehmer die Wahl, ob er selbst Nachbearbeitungsmaßnahmen zum Erhalt der Versicherung durchführe oder sie dem Versicherungsvermittler überlass.

Einmonatiger Nachbearbeitungs-Zeitraum

Die dem Versicherungsvermittler zugestandene Gelegenheit einer einmonatigen Nachbearbeitung sei ein ausreichender Zeitraum. Dabei sei es unerheblich, dass der Versicherungsnehmer dem Versicherungsvermittler den Zugang zu dessen Örtlichkeiten verwehrt habe, denn das Unternehmen haftet nicht für einen etwaigen Erfolg der Nachbearbeitungsbemühungen. Darüber hinaus äußert das Gericht sich noch zu einer weiteren interessanten Rechtsfrage und stellt fest, dass es irrelevant sei, was für ein Stornohaftungszeitraum die Provisionsvereinbarung zwischen Vermittler und Unternehmen vorgesehen habe.
Die Neuregelung der Stornohaftungszeit von 60 Monaten nach § 80 Absatz 5 VAG (alte Fassung, seit 2016 § 49 Abs. 1 VAG) wirke unmittelbar auf das Vertragsverhältnis ein, ohne dass es eines Abänderungsvertrages bedürfe. Dies komme auch dadurch zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber ausdrücklich anderweitige vertraglich vereinbarte Stornohaftungszeiten als unwirksam ansehe. Hiernach dürfte dem Handelsvertreter der Einwand mangelnder Vereinbarung von Stornohaftungszeiten regelmäßig verwehrt sein.

Unsere Einschätzung

Mit der Entscheidung konkretisiert das Gericht Art und Umfang der Nachbearbeitungsbemühungen des Versicherungsunternehmens. An sie stellt das gericht keine allzu hohen Anforderungen. Das geht zu Lasten von Versicherungsvermittler:innen.  Somit sind Versicherungsvermittler:innen aufgrund der langen Stornohaftungszeiten einem enormen wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt. Das gilt unabhängig vom Grund der Aufhebung des vermittelten Vertrags. Besonders in Zeiten von Liquiditätsengpässen wie der Corona-Pandemie stellt sich die Frage, wie zukunftsfähig solch ein risikobehaftetes Vergütungsmodell ist. Außerdem, wie hier vertriebsseitig in Zukunft zum Zwecke nachhaltiger Mitarbeitergewinnung reagiert werden kann.

Haben Sie Fragen rund um die Rückforderung von Handelsvertreterprovisionen? Dann kommen Sie jederzeit gerne auf uns zu!

Jens Bühner

Partner, Rechtsanwalt, LL.M., Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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