
6. November 2025
E-Rezept im Apothekenalltag: Rechtliche Risiken kennen und vermeiden
Inhaltsverzeichnis
Seit der verpflichtenden Einführung des E-Rezepts hat sich der Apothekenalltag spürbar verändert. Prozesse sind digitaler, Abläufe effizienter und zugleich komplexer geworden. Eine der zentralen Fragen lautet: Wie bleibt die freie Apothekenwahl im digitalen Raum gewahrt?
Die freie Apothekenwahl im digitalen Raum: Wie wird sie gewährleistet?
Das Zuweisungsverbot nach § 11 Apothekengesetz (ApoG) gilt unverändert, unabhängig davon, ob ein Rezept als Papierausdruck, QR-Code, Token oder über eine App übermittelt wird. Entscheidend ist allein, dass Patientinnen und Patienten selbst entscheiden, in welcher Apotheke sie ihr Rezept einlösen.
Neue Geschäftsmodelle, Telemedizin-Anbieter und digitale Plattformen stellen diese Wahlfreiheit zunehmend auf die Probe. Besonders die aktuelle Rechtsprechung des OLG Frankfurt vom 14. August 2025 (Az. 6 W 108/25) zeigt deutlich: Schon subtile digitale Lenkungen können unzulässig sein.
Das Zuweisungsverbot nach § 11 ApoG: Rechtliche Grundlagen und wichtige Regelungen
- 11 ApoG untersagt jede Vereinbarung oder Zusammenarbeit, die die freie Apothekenwahl einschränkt.
Das betrifft nicht nur klassische Kooperationen zwischen Arztpraxis und Apotheke, sondern auch digitale Prozesse, bei denen E-Rezepte automatisch oder bevorzugt an bestimmte Apotheken weitergeleitet werden.
Ebenso relevant ist § 11 Abs. 1a ApoG: Das sogenannte Rezeptmakeln, also die Vermittlung von Verschreibungen gegen Vorteile, ist ausdrücklich verboten.
Auch datenschutzrechtlich gilt: Eine elektronische Rezeptübermittlung ist nur zulässig, wenn sie von den Patient:innen selbst initiiert oder mit einer klaren, jederzeit widerrufbaren Einwilligung verbunden ist.
Rechtliche Grauzonen im Apothekenalltag: Wo Apotheken bei E-Rezepten in Schwierigkeiten geraten können
Sammelabholungen und Rezeptweitergaben
In manchen Praxen werden E-Rezept-Tokens gesammelt und anschließend an eine bestimmte Apotheke übergeben. So praktisch das auf den ersten Blick erscheint, so heikel ist es rechtlich: Eine solche Vorgehensweise schränkt die freie Apothekenwahl ein und kann als unzulässige Zuweisung gewertet werden.
Zulässig ist sie nur, wenn Patient:innen nachweislich einwilligen und ihre Entscheidung jederzeit ändern können.
In der Apotheke sollte dokumentiert werden, dass die Einlösung oder der Botendienst ausdrücklich auf Wunsch der Patient:innen erfolgt ist.
App-Einstellungen mit voreingestellter Apotheke
Viele E-Rezept-Apps bieten die Option, eine „Standardapotheke“ zu hinterlegen. Das erleichtert die Nutzung, birgt aber rechtliche Risiken, wenn diese Voreinstellung schwer zu ändern ist oder automatisch gesetzt wird. Eine dauerhafte Bindung ohne echte Wahlmöglichkeit kann gegen § 11 ApoG verstoßen, selbst dann, wenn die App technisch eine Änderung zulässt, diese aber unübersichtlich oder umständlich gestaltet ist.
Apotheker:innen sollten daher prüfen, mit welchen Apps man zusammenarbeitet und ob deren Prozesse tatsächlich eine freie Apothekenwahl gewährleisten.
Direkte Übermittlung durch Arztpraxen
Nicht selten senden Ärztinnen und Ärzte E-Rezepte direkt an eine Apotheke, häufig aus Servicegedanken oder organisatorischer Bequemlichkeit. Auch wenn das gut gemeint ist, bleibt es meist unzulässig. Selbst bei Zustimmung der Patient:innen kann der Eindruck einer gelenkten Zuweisung entstehen. Solche Abläufe bergen erhebliche wettbewerbsrechtliche Risiken, auch für die beteiligten Apotheken.
Telemedizin-Plattformen und Versandapotheken
Besonders kritisch sind Plattformen, die ärztliche Konsultation und Rezepteinlösung kombinieren. Wird das E-Rezept nach einer Online-Behandlung automatisch an eine Versandapotheke übermittelt, liegt in der Regel ein klarer Verstoß gegen das Zuweisungsverbot vor. Für Apotheken gilt: Auch bei Kooperationen mit Telemedizin-Anbietern ist Transparenz entscheidend. Es sollten sicherstellt werden, dass Rezepte ausschließlich auf ausdrücklichen Wunsch der Patient:innen an die Apotheke gelangen.
Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste
Im Pflegebereich ist die Lage zweigeteilt:
- Stationäre Einrichtungen dürfen Rezepte im Rahmen genehmigter Versorgungsverträge (§ 12a ApoG) bündeln und weiterleiten.
- Ambulante Pflegedienste hingegen unterliegen uneingeschränkt dem Zuweisungsverbot – eine pauschale Rezeptweitergabe ist unzulässig.
Pflegedienste sind gesetzlich zur Neutralität verpflichtet; eine bevorzugte Zusammenarbeit mit einer Apotheke ist rechtlich nicht zulässig.
Technische „Hintergrundweiterleitungen“
Moderne Softwarelösungen können zum Risiko werden, wenn sie Rezepte im Hintergrund automatisch an bestimmte Apotheken senden. Fehlt es an einer aktive Entscheidung des Patienten, liegt eine verdeckte Zuweisung vor. Solche Prozesse können nicht nur gegen § 11 ApoG, sondern auch gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstoßen, wenn personenbezogene Daten ohne rechtliche Grundlage verarbeitet werden.
Neue Rechtsprechung: OLG Frankfurt zieht klare Grenzen
Im Mai 2025 entschied zunächst das LG Frankfurt, dass Plattformen, die nur mit bestimmten Apotheken kooperieren, nicht zwingend gegen § 11 ApoG verstoßen.
Diese Auffassung wurde jedoch im August 2025 vom OLG Frankfurt (Az. 6 W 108/25) ausdrücklich verworfen.
Das Gericht stellte klar:
Auch wenn eine Plattform formal die freie Wahl ermöglicht, liegt ein Verstoß vor, wenn die Gestaltung des Bestellprozesses Patient:innen faktisch lenkt. Dies passiert etwa durch voreingestellte Partnerapotheken, bevorzugte Platzierungen oder werbliche Hervorhebungen.
Im konkreten Fall ging es um den Vertrieb von medizinischem Cannabis über eine Online-Plattform.
Das Gericht sah in der praktischen Umsetzung eine unzulässige Einflussnahme auf die Apothekenwahl.
Besonders bedeutsam: Apotheken, die an einem solchen System teilnehmen, haften selbst als Täter:innen, auch wenn die technische Umsetzung bei der Plattform liegt.
Damit trägt jede Apotheke Mitverantwortung für die Einhaltung der freien Apothekenwahl, unabhängig davon, ob sie aktiv an der Steuerung beteiligt ist oder lediglich Teil des Modells.
Handlungsempfehlungen für Apotheken: So bleiben Sie rechtlich auf der sicheren Seite
Um rechtliche Risiken beim Umgang mit dem E-Rezept zu vermeiden, sollten Apotheken folgende Punkte beachten:
- Patientenentscheidung dokumentieren
Halten Sie fest, dass die Einlösung des E-Rezepts auf ausdrücklichen Wunsch der Patientin oder des Patienten erfolgt ist. Eine kurze Notiz im Kassensystem oder eine digitale Zustimmung genügt in der Regel. - Digitale Partner kritisch prüfen
Kooperationen mit Plattformen, Telemedizin-Anbietern oder Software-Dienstleistern sollten regelmäßig rechtlich überprüft werden. Entscheidend ist, dass Ihre Apotheke nicht automatisch Empfängerin von Rezepten wird. - Datenschutz sicherstellen
Jede elektronische Rezeptübermittlung erfordert eine informierte, freiwillige und dokumentierte Einwilligung. Prüfen Sie regelmäßig, ob Ihre Abläufe DSGVO-konform sind. - Mitarbeitende schulen
Das gesamte Apothekenteam sollte wissen, wo die Grenze zwischen zulässigem Service und unzulässiger Zuweisung verläuft. Sensibilisierung schützt vor unbeabsichtigten Fehlern. - Kommunikation mit Ärzt:innen und Pflegediensten
Sprechen Sie offene Fragen an. Weisen Sie auf die geltende Rechtslage hin, insbesondere auf das Zuweisungsverbot und die Bedeutung der Wahlfreiheit.
Unsere Einschätzung: So meistern Apotheken die digitale Transformation
Das E-Rezept ist ein wesentlicher Schritt in die digitale Zukunft der Arzneimittelversorgung. Doch Digitalisierung darf nicht dazu führen, dass die freie Apothekenwahl zur Formsache wird.
Die jüngsten Entscheidungen aus Frankfurt zeigen: Schon scheinbar kleine technische oder organisatorische Bevorzugungen können rechtlich problematisch sein.
Für Apothekerinnen und Apotheker heißt das: Transparenz, Sorgfalt und Eigenverantwortung sind entscheidend. Wer seine Prozesse dokumentiert, Einwilligungen sauber einholt und digitale Kooperationen kritisch prüft, kann die Chancen des E-Rezepts nutzen, ohne rechtliche Risiken einzugehen.
Bei Fragen rund um die rechtssichere Gestaltung von E-Rezept-Prozessen oder zur Prüfung bestehender Kooperationen wenden Sie sich gerne an Steuerberaterin Julia Wittwer und Rechtsanwältin Julia Brey.






