
20. Oktober 2025
FG Kassel: Kein „Einbringungsgewinn II“ bei Formwechsel – Fusionsrichtlinie schützt bei grenzüberschreitenden Einbringungen
Inhaltsverzeichnis
Das Hessische Finanzgericht (FG Kassel) hat mit Urteil vom 22. Mai 2025 im zweiten Rechtsgang entschieden, dass bei einer grenzüberschreitenden Einbringung die Fusionsrichtlinie (RL 2009/133) eine Nachversteuerung eines sogenannten „Einbringungsgewinns II“ verhindern kann. Das Urteil macht einmal mehr deutlich, dass das europäische Sekundärrecht zu prüfen ist, wenn nationale Regelungen einer grenzüberschreitenden Umstrukturierung im Wege stehen könnten. In diesem Beitrag erklären wir, was die Entscheidung konkret bedeutet.
Warum das Urteil Relevanz für jede grenzüberschreitende Struktur hat
Das Urteil des Hessischen Finanzgerichts markiert einen wichtigen Praxisfall für alle, die grenzüberschreitende Strukturierungen begleiten. Zentral ist die Erkenntnis, dass europäisches Fusionsrecht nationale Nachversteuerungsversuche einschränken kann. In der Praxis heißt das: Wer nur auf nationales Recht achtet, übersieht potenziell entscheidende unionsrechtliche Schutzmechanismen, die grenzüberschreitende Gestaltungen ermöglichen können.
Wichtig: Eine Berufung auf das europäische Sekundärrecht unmittelbar gegenüber dem Finanzamt ist grundsätzlich nicht möglich.
Warum war die Nachversteuerung unzulässig? FG-Urteil zur Fusionsrichtlinie
Kernelement des Falls war ein qualifizierter Anteilstausch im Sinne des § 21 Umwandlungssteuergesetz (UmwStG). Dabei wurden im Rahmen einer Sachgründung Anteile an einer spanischen Gesellschaft in eine deutsche Holding-GmbH eingebracht. Dabei handelte es sich um Anteile an einer Sociedad de responsabilidad limitada (S.L.), die als spanische Kapitalgesellschaft mit der deutschen GmbH vergleichbar ist.
Die Einbringung erfolgte zu einem unter dem gemeinen Wert liegenden Zwischenwert, sodass die Sperrfrist gem. § 22 Abs. 2 UmwStG galt. Im darauffolgenden Jahr wurde die Holding-GmbH in eine offene Handelsgesellschaft (oHG) formgewechselt. Die Finanzverwaltung forderte daraufhin die Aufdeckung stiller Reserven aufgrund einer fiktiven Veräußerung im Sinne der Regelung über den sog. „Einbringungsgewinn II“ nach § 22 Abs. 2 UmwStG. Das FG Kassel hat diese Nachversteuerung insoweit untersagt, als die Anwendung von Art. 8 der Fusionsrichtlinie einschlägig war.
Warum die Fusionsrichtlinie vor dem Einbringungsgewinn II schützt
Das Gericht hat herausgearbeitet, dass Art. 8 der Fusionsrichtlinie den Anteilseigner vor einer Besteuerung allein wegen der Zuteilung von Anteilen bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen schützt. Soweit die nationale Regelung des Anteilstauschs und der Nachversteuerungstatbestände (§§ 21 und 22 UmwStG) mit dieser unionsrechtlichen Vorgabe kollidieren, sind sie nicht anwendbar.
Art. 8 der Fusionsrichtlinie besagt im Wesentlichen: Wenn Sie bei einer grenzüberschreitenden Umstrukturierung Anteile erhalten, darf allein die Zuteilung dieser Anteile nicht dazu führen, dass Sie einen sofortigen Veräußerungsgewinn versteuern müssen. Anders gesagt: Der bloße (Rück-)Tausch von Anteilen ist nicht automatisch ein steuerpflichtiger Verkauf. Nach Auffassung des FG Kassel liegt durch den Formwechsel keine Veräußerung im Sinne des Art. 8 Abs. 6 der Fusionsrichtlinie vor.
BFH-Rechtsprechung: Rein nationale Fälle profitieren nicht von der Fusionsrichtlinie
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil v. 18. November 2020 (Az. I R 25/18) in der Vorinstanz zum Urteilsfall des FG Kassel entschieden, dass ein innerhalb der Sperrfrist erfolgter Formwechsel der übernehmenden Kapitalgesellschaft nach nationalen Regelungen zu einer fiktiven Veräußerung der eingebrachten Anteile führt, die einen Einbringungsgewinns II im Sinne des § 22 Abs. 2 UmwStG auslöst.
Gleiches gilt laut BFH-Urteil vom 27. November 2024 (Az. X R 26/22), wenn die Kapitalgesellschaft, deren Anteile im Rahmen eines qualifizierten Anteilstausches in eine andere Kapitalgesellschaft eingebracht worden sind, innerhalb der Sperrfrist in eine Personengesellschaft formgewechselt wird.
Die EU-Fusionsrichtlinie ist auf einen rein nationalen Sachverhalt nicht anwendbar. Der deutsche Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, dass der nationale Anteilstausch nach § 21 UmwStG abweichend von Art. 8 der Fusionsrichtlinie zu beurteilen ist. Nach der Rechtsprechung des BFH ist durch Anwendung dieser nationalen Regelungen daher im Formwechsel für innerstaatliche Fälle eine Veräußerung zu sehen.
Warum das Vorliegen unionsrechtlicher Einwendungen immer geprüft werden sollte
Das Urteil unterstreicht auch eine verfahrensrechtliche Lehre: Finanzbehördliche Änderungs- und Nachversteuerungsversuche sind nicht automatisch erfolgreich, wenn unionsrechtliche Normen entgegenstehen. Bei Nachversteuerungsverfahren aufgrund von grenzüberschreitenden Umstrukturierungen oder Umwandlungen sollten Berater unionsrechtliche Einwendungen prüfen und im Einspruchs- bzw. Klageverfahren geltend machen.
Überprüfung durch BFH noch ausstehend: Warum noch keine Rechtssicherheit besteht
Die Entscheidung des FG Kassel ist zweitinstanzlich noch nicht endgültig. Gegen das Urteil wurde die Revision vor dem BFH zugelassen, da es sich hinsichtlich der Anwendung der Fusionsrichtlinie um eine bislang ungeklärte Rechtsfrage handelt.
Das heißt: Die Rechtslage kann sich noch weiterentwickeln oder anders gestalten, bis zu einer Entscheidung des BFH oder gegebenenfalls des EuGH.
Was Sie bei Einbeziehung europarechtlicher Prüfungen beachten sollten: Unsere Einschätzung
Das Urteil des FG-Kassel ist ein klarer Hinweis: Unionsrecht kann nationale Nachversteuerungsregelungen stoppen. Entsprechend empfiehlt es sich, grenzüberschreitende Umwandlungen von Anfang detailliert zu planen. Die Einbeziehung europarechtlicher Prüfungen sollte jedoch grundsätzlich nur im Rahmen einer Abwehrberatung notwendiges Mittel sein. Nur so lassen sich steuerliche Überraschungen und langwierige Verfahren vermeiden.
Mit Spannung erwartet wird die Revisionsentscheidung des BFH. Es geht dabei um die Anwendung der Fusionsrichtlinie im Zusammenhang mit dem Formwechsel der übernehmenden Rechtsträger. Konkret betrifft der Fall die Einbringung von Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft im Wege eines qualifizierten Anteilstauschs. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen X R 18/25 anhängig.
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