überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft
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26. Mai 2023

Gewerbesteuer-Falle in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft

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Das Finanzgericht Münster urteilte in einem Fall, in dem eine ärztliche überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (Ü-BAG) eine weitere Gesellschafterin aufnehmen wollte. Das Finanzamt führte eine Betriebsprüfung durch. Es versagte die ursprüngliche freiberufliche Tätigkeit der gesamten Ü-BAG, da es keine steuerrechtliche Mitunternehmerstellung der neuen Gesellschafterin sah. Die Ü-BAG klagte und das Finanzgericht entschied im Urteil vom 26.11.2021 zugunsten des Finanzamtes. Diesen Fall sollten Sie kennen. 

Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft nimmt Gesellschafterin auf

In dem Urteilsfall wurde eine Ärztin als neue weitere Gesellschafterin in einer Berufsausübungsgemeinschaft (Ü-BAG) aufgenommen, die an einem neuen Standort eine (Neben-) Betriebsstätte betrieben hat. Die Ü-BAG war im Bereich der Augenheilkunde an zwei verschiedenen Standorten tätig. Im Rahmen ihrer Tätigkeit schloss sie neue Behandlungsverträge mit Patient:innen und behandelte sie selbstständig.

Zu Beginn trafen sie eine gesonderte Eintrittsvereinbarung, wonach die ersten 36 Monate der Mitgliedschaft als „Kennenlernphase“ galten. Sollte es fachlich oder persönlich mit den Altgesellschaftern nicht harmonieren, könnte man sich unkompliziert und unbürokratisch trennen.

Der Gesellschaftsvertrag besagt außerdem:

  • Jede:r Gesellschafter:in übt den Beruf unabhängig und in eigener Verantwortung aus und
  • die neue Gesellschafterin hat bei der Gesellschafterversammlung nur ein Stimmrecht in Höhe von 1/100

Was ergab die Betriebsprüfung der Berufsausübungsgemeinschaft?

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die neue Gesellschafterin weder eine Mitunternehmerinitiative, noch ein Mitunternehmerrisiko trägt. Dies ist jedoch die Voraussetzung dafür, dass eine Ü-BAG als Personengesellschaft gemeinschaftlich freiberufliche Einkünfte aus selbstständiger Arbeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Das Finanzamt qualifizierte den Praxisgewinn als gewerbliche Einkünfte nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG um und versagte der Neu-Gesellschafterin die steuerliche Mitunternehmerstellung. 

Was ist Mitunternehmerinitiative?

Die Mitunternehmerinitiative setzt eine Übertragung von Aufgaben der Geschäftsführung voraus. Mit diesen ist ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum und damit auch ein Einfluss auf grundsätzliche Fragen der Geschäftsführung verbunden. Die Ärztin konnte als Neu-Gesellschafterin jedoch keine Geschäftsführungsentscheidungen selbstständig treffen, da laut Gesellschaftsvertrag eine gemeinschaftliche Geschäftsführung vereinbart wurde. Die Neu-Gesellschafterin trug also keine alleinige Entscheidungsbefugnis.

Was ist Mitunternehmerrisiko?

Das Mitunternehmerrisiko setzt eine Teilhabe am monetären Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft, eine Beteiligung an den stillen Reserven des Praxisvermögens sowie des Praxiswerts voraus. Das Finanzamt sah keine Beteiligung der Neu-Gesellschafterin am laufenden Praxisgewinn. Stattdessen erhielt sie einen vorab vertraglich vereinbarten, gestaffelten Anteil für ihre Tätigkeit. Das Finanzamt sah in dieser Vergütungsvariante eher den Charakter eines fixen Entgelts oder eine Art Gratifikation.

Finanzamt: Die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft erfüllt die Voraussetzungen nicht

Mangels nicht steuerrechtlicher Stellung als Mitunternehmerin führte das Finanzamt anschließend eine Prüfung der Einhaltung der sogenannten „Stempel-Theorie“ durch. Deren Erfüllung ist die Voraussetzung für die Erzielung freiberuflicher Einkünfte.

Was ist die „Stempel-Theorie“?

Ärzt:innen sind als Angehörige eines freien Berufs gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG auch dann noch freiberuflich tätig, wenn sie sich mittels fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedienen. Jedoch muss eine Ärztin oder ein Arzt als Praxisinhaber:in der Tätigkeit weiterhin den „Stempel ihrer oder seiner Persönlichkeit“ aufsetzen. Arbeitet eine Angestellte oder ein Angestellter wie im Urteilsfall eigenverantwortlich und wird nicht durch die Praxisinhaber:in kontrolliert, fehlt der Stempel. 

Wie entschied das Finanzgericht über die Klage der Berufsausübungsgemeinschaft?

So sah es auch das Finanzamt. Die Altgesellschafter der Ü-BAG drückten der Tätigkeit durch die eigenverantwortliche und leitende Tätigkeit der Neu-Gesellschafterin nicht mehr genügend den Stempel auf. Die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vollumfänglich eigenverantwortlich und somit nicht mehr freiberuflich tätig. Heißt: Die Ü-BAG ist zusätzlich gewerbesteuerpflichtig.

Das FG Münster gab dem Finanzamt recht und urteilte zuungunsten der klagenden Ü-BAG. Es wurde keine Revision zugelassen und das Urteil ist rechtskräftig.

Warum ist die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft jetzt gewerbesteuerpflichtig?

Diesen Vorgang nennt man „Gewerbliche Infektion einer Personengesellschaft“. Wenn eine Personengesellschaft wie die Ü-BAG sowohl freiberuflich als auch gewerblich tätig ist, qualifiziert das Finanzamt den Gewinn der Praxis nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG um. Der nun gewerbliche Gewinn unterliegt nach Abzug des Freibetrags in Höhe von rund EUR 24.500 vollumfänglich der Gewerbesteuer.

Unsere Einschätzung:

Die im vorliegenden Urteilsfall gewählte Gestaltungsvariante kommt in der Praxis häufiger vor. Deshalb: Vorsicht vor der Gewerbesteuer-Falle! Stellt das Finanzamt die Gewerbesteuer-Pflicht der gesamten Gesellschaft erst im Rahmen einer Betriebsprüfung fest, drohen unter Umständen hohe Steuernachzahlungen zuzüglich Nachzahlungszinsen. Obwohl die festzusetzende Gewerbesteuer auf die private Einkommensteuer gemäß § 35 EStG angerechnet wird, droht eine zusätzliche Steuerbelastung durch den Hebesatz der jeweiligen Gemeinde. Wenden Sie sich bei Fragen gerne an unser Expertenteam.

Stefanie Anders

Partnerin, Steuerberaterin, Fachberaterin Gesundheitswesen (IBG/ HS Bremerhaven), Fachberaterin für Controlling und Finanzwirtschaft (DStV e.V.)

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