6. Juli 2021

Verlustausgleichsbeschränkung – Beschränkung der Verrechnung von Aktienverlusten ist verfassungswidrig

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Verluste aus der Veräußerung von Aktien können nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden. Nicht verrechnet werden können sie mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen oder sonstigen Einkunftsarten. So sieht es jedenfalls das aktuelle Gesetz gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG (in der vorherigen Gesetzesfassung nach Satz 5) vor. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erhebliche Zweifel an dieser Einschränkung und aus diesem Grund das Bundesverfassungsgericht angerufen. Hier erfahren Sie, für wen das Urteil gute Neuigkeiten sein könnten und was Sie nun bei der Verrechnung von Aktienverlusten beachten sollten.

Hintergrund zur Verlustausgleichsbeschränkung

Einkünfte aus Kapitalvermögen, zum Beispiel Zinsen oder Dividenden, werden grundsätzlich mit einem speziellen Steuersatz von 25 Prozent besteuert (Abgeltungssteuer). Die Abgeltungssteuer wird in der Regel von der Bank einbehalten und an das Finanzamt abgeführt. Damit sind diese Einkünfte abgegolten und müssen nicht in der jährlichen Steuererklärung angegeben werden.
Da der Steuersatz für Einkünfte aus Kapitalvermögen „nur“ 25 Prozent beträgt und damit in vielen Fällen unter dem persönlichen Einkommensteuersatz liegt, hat der Gesetzgeber vorgeschrieben, dass Verluste aus diesen Einkünften ausschließlich mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen.

Die Besonderheit bei der Verrechnung von Aktienverlusten 

Bei Verlusten aus Aktienhandel war der Gesetzgeber noch strenger. Hier sieht er eine zusätzliche Verlustverrechnungsbeschränkung vor.  Der Ausgleich von Verlusten aus der Veräußerung von Aktien ist demnach nur mit (späteren) Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien möglich.
Eine Verrechnung mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ist also nicht möglich. In der damaligen Gesetzesbegründung wurden Risiken für den Staatshaushalt als Rechtfertigung für diese erweiterte Einschränkung angegeben. Diese Regelung hat sich der BFH nun genauer angeschaut.

Zuständiges Finanzgericht sah zunächst keine Ungleichbehandlung

Gegen die Beschränkung wehrte sich ein Ehepaar aus Schleswig-Holstein. Es hatte zunächst vor dem Finanzgericht in Schleswig-Holstein den Rechtsstreit mit dem Finanzamt verloren (Urteil vom 28.02.2018, 5 K 69/15). Das Finanzgericht ließ jedoch aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zu und eröffnete damit den Weg zum BFH.
Eine gerichtliche (insbesondere höchstrichterliche) Entscheidung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F. (jetzt Satz 4) lag bis dahin nämlich noch nicht vor.

Verrechnung von Aktienverlusten – Es liegt eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor  

In seinem Beschluss vom 17. November 2020 kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass wohl eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vorliegt, wenn Verluste aus Aktiengeschäften und Verluste aus anderen Kapitaleinkünften unterschiedlich behandelt werden. Dadurch würden Steuerzahler:innen ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich behandelt. Und zwar abhängig davon, ob sie Verluste aus der Veräußerung von Aktien oder aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben.
Eine Rechtfertigung dafür sieht der BFH nicht. Weder besteht laut dem Gericht ohne diese Regelung die Gefahr erheblicher Steuermindereinnahmen, noch sei die Regelung zur Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen oder zum Erreichen anderer außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszielen notwendig.

Vorlage an das Bundesverfassungsgericht

Die Frage, ob die Beschränkung des heutigen § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG mit dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren ist, hat der BFH mit seinem Beschluss wiederum dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt. Das BVerfG muss nun abschließend darüber entscheiden, ob hier Gleiches ungleich behandelt wird, ohne dass es dafür eine entsprechende Rechtfertigung gibt.

Gute Aussichten für Kapitalanleger:innen durch steuerliche Geltendmachung

Sollte das BVerfG die Bedenken des BFH bestätigen, könnten Verluste aus Aktienverkäufen zukünftig möglicherweise auch mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden. Das würde beispielsweise für Zinsen oder Dividende gelten. Für viele Anleger:innen dürfte das bedeuten, dass diese Verluste zukünftig steuerlich geltend gemacht werden können. Vorausgesetzt, dass diese privaten Anleger:innen noch andere Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielen.
Eine weitergehende Ausgleichsmöglichkeit mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten (beispielsweise aus einem Gewerbebetrieb oder einer selbstständigen Tätigkeit) wird es weiterhin nicht geben, da der BFH die Verfassungsmäßigkeit insoweit nicht beanstandet hat.

Verrechnung von Aktienverlusten – das müssen Kapitalanleger:innen nun beachten

Vorsorglich sollten Sie gegen bestimmte Einkommensteuerbescheide Einspruch einlegen. Das gilt für die Bescheide in denen die derzeitige Beschränkung der Verrechenbarkeit von Verlusten aus Aktien einen entsprechenden Ausgleich mit anderen Kapitaleinkünften verhindert.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es verwunderlich, dass der Beschluss des BFH erst im Juni 2021 veröffentlicht wurde, obwohl er bereits aus dem November 2020 stammt. Vielen Anleger:innen könnte damit die Chance auf einen rechtzeitigen Einspruch gegen Ihren Einkommensteuerbescheid mangels Kenntnis des Verfahrens genommen worden sein.

Unsere Einschätzung

Auch wenn eine Überprüfung und die abschließende Beurteilung durch das BVerfG noch aussteht, begrüßen wir den Beschluss des BFH.
Die Entscheidung des BVerfG könnte sich auch auf weitere Beschränkungen des § 20 Abs. 6 EStG auswirken. So hatte der Gesetzgeber zuletzt mit erstmaliger Wirkung für das Jahr 2020 die Verrechnungsmöglichkeiten für Verluste aus der Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung sowie aus der (Depot-)Ausbuchung wertloser Kapitalanlagen auf eine Summe von 20.000 Euro pro Jahr beschränkt. Auch entstandene Verluste aus Termingeschäften, wozu der Einsatz von Derivaten zählt, durften fortan nur noch bis zu dieser Höhe und darüber hinaus nur noch mit Gewinnen aus anderen Termingeschäften und Stillhalteprämien verrechnet werden.
Da diese Regelungen mit der Beschränkung bei Aktienverlusten vergleichbar sind und durch die zusätzliche Beschränkung auf einen jährlichen Maximalbetrag von 20.000 Euro sogar über diese hinausgehen, ist es durchaus möglich, dass auch diese Regelungen als verfassungswidrig anzusehen sind.

Es bleibt daher zu hoffen, dass der Gesetzgeber im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG reagiert. Denn wenn die Verfassungswidrigkeit festgestellt wird, müsste er die zusätzlichen Beschränkungen des § 20 Abs. 6 Sätze 4 bis 6 EStG aufheben. Bis dahin sollten auch Steuerbescheide, in denen die 20.000 Euro-Begrenzung zur Anwendung kommt, möglichst durch einen Einspruch offen gehalten werden.

Benötigen Sie Unterstützung bei offenen Steuerbescheiden? Unsere Expertinnen und Experten beraten Sie sehr gern.

 

Ann-Christin Büscher

COO International, Partnerin und Steuerberaterin

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