19. Mai 2020

Verrechnungspreisanpassungen in der Corona-Krise

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Steuerpflichtige stehen vor einer enormen Herausforderung. Durch die Parallelität von Price-Setting und Outcome-Testing müssen Sie ihre Monitoring-Systeme und Verrechnungspreisanpassungen in der Corona-Krise überprüfen. Und zwar hinsichtlich des Handlungsbedarfs und der Handlungsoptionen. Für die Verrechnungspreisfahrt auf Sicht geben wir Ihnen hier eine Navigationshilfe an die Hand.

Sind Verrechnungspreisanpassungen in der Corona-Krise erforderlich?

Vor dem Hintergrund eines gestörten Marktumfelds, stellt sich für Verrechnungspreispraktiker eine nicht unerhebliche Frage: Müssen die akuten ökonomischen Verwerfungen in den Verrechnungspreisanpassungen, die auf der Transaktionalen Nettomargenmethode (TNMM) beruhen, berücksichtigt und adressiert werden? Und wenn ja, wie?

Grundsätzlich bestehen zur Verrechnungspreisfindung zwei Vorgehensweisen:

  1. Das Price-Setting ist die Vereinbarung einer fremdüblichen Vergütung zu Beginn einer konzerninternen Transaktion (ex ante).
  2. Outcome-Testing ist die Sicherstellung fremdüblicher Ergebnisse am Ende der Transaktion (ex post).

In Deutschland hat man sich bisher auf das Price-Setting festgelegt, während im internationalen Vergleich die Präferenzen eher in Richtung des Outcome-Testings gehen. Darum versuchen deutsche Unternehmensgruppen mittels Verrechnungspreisanpassungen, die auf der Transaktionalen Nettomargenmethode (TNMM) beruhen, einen Brückenschlag, um Differenzen zwischen budgetiertem und tatsächlichem Verrechnungspreisergebnis auszugleichen.

Eine wesentliche Bedeutung hat dabei die anvisierte Zielbandbreite, die regelmäßig durch Benchmarks bestimmt wird. Da hier jedoch (noch) keine Corona-Effekte berücksichtigt sein können, da entsprechende Daten erst im Laufe des Jahres 2021 in den Datenbanken verfügbar sein werden, stellt sich in der Verrechnungspreispraxis die Frage, wie mit Soll-Ist-Differenzen umzugehen ist und wie diese ausgeglichen werden können?

Besteht Handlungsbedarf bei Verrechnungspreisanpassungen in der Corona-Krise ?

Das ist die Kernfrage. Stellen Sie sicher, ob überhaupt ein coronabedingter Handlungsbedarf besteht. Damit vermeiden Sie voreilige Maßnahmen. Erster und wichtigster Indikator eines auf die aktuelle Corona-Pandemie zurückzuführenden wirtschaftlichen Einbruchs stellen Soll-Ist-Abgleiche lokaler Finanzergebnisse dar. Sie können zumindest für das laufende Wirtschaftsjahr davon ausgehen, dass in der Budgetierung des Jahres 2020 Corona-Effekte (noch) nicht oder nur unzureichend berücksichtigt sein dürften. Aus Verrechnungspreisperspektive könnte man das als „Glücksfall“ bezeichnen, da dies eine ungefilterte Identifikation von Soll-Ist-Differenzen ermöglicht. Indikatoren hier sind zum Beispiel die Entwicklung des Umsatzes und eingehender Bestellungen, die Entwicklung der am Markt durchsetzbaren Preisvorstellungen gegenüber Lieferanten und Kunden sowie Kapazitätsauslastungen in der Produktion. Bedenken Sie, dass sich in Industrien und Branchen mit längeren Vorlaufzeiten die Corona-Effekte erst verzögert einstellen.

Die Ursachen-Wirkungs-Analyse

Ein weiterer Schwerpunkt sollte eine detaillierte Ursachen-Wirkungs-Analyse sein, um auszuschließen, dass andere negative Effekte eine Rolle spielen. Zu bedenken sind hierbei insbesondere Faktoren, die ihm Rahmen der Budgetierung in Q4/2019 mit negativen Erwartungen berücksichtigt wurden: US-Wahlkampf? Verhandlungen zum Brexit-Handelsabkommen? Die in weiten Teilen 2019 beobachtete konjunkturelle Abkühlung?

Schließlich sollte die Entwicklung der lokalen Ergebnissituation engmaschiger und nicht erst gegen Ende des Wirtschaftsjahres überwacht werden. In Abhängigkeit der gegebenen ERP-Fähigkeiten und Ressourcen, sollten regelmäßige Reportings (monatlich, vierteljährlich) vorerst genügend Sicherheit bieten, Corona-Effekte rechtzeitig zu identifizieren. Konkrete Maßnahmen sollten vor dem Hintergrund der sich fortdauernden Entwicklung und dem sich noch nicht vollständig abzeichnenden Verlauf des Jahres zudem erst bei hinreichender Entscheidungssicherheit eingeleitet werden.

Diese Handlungsoptionen haben Sie

Bei abgeschlossenen konzerninternen Vereinbarungen scheidet ein Aussetzen von Verrechnungspreisanpassungen grundsätzlich aus. Wir raten unseren Mandanten auch davon ab, langjährig erprobte und im besten Fall mehrfach geprüfte und akzeptierte Verrechnungspreissysteme kurzfristig zu ändern. Wir empfehlen unseren Mandanten die konsistente Fortführung des eingeführten Systems, die auch die Abbildung von Corona-Effekten in Verrechnungspreisanpassungen erlaubt . Hier kommen den eingangs erwähnten Benchmarks und Zielbandbreiten eine besondere Bedeutung zu.

Ausschöpfen der vollen Interquatils-Bandbreite

Wenn Sie bei der Verrechnungspreisanpassung auf die weit verbreitete Einengung von Benchmark-Ergebnissen mittels Interquatils-Bandbreiten verzichten, haben Sie mehr Spielraum. Dies ist grundsätzlich möglich, sowohl aus OECD- als auch aus deutscher steuerlicher Perspektive. Der deutsche Gesetzgeber hat dies jedoch auf Fälle begrenzt, in denen eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit vorliegt, § 1 Abs. 3 S. 3 Außensteuergesetz (AStG). Ausschlaggebend sind hier insbesondere Produkteigenschaften, Vertragsbedingungen, Geschäftsstrategien, Markt- und Wettbewerbsverhältnisse sowie nicht zuletzt Funktions- und Risikoprofile. Da im Rahmen der Benchmark-Erstellung zugunsten einer hohen funktionalen Vergleichbarkeit auf beispielsweise nur eine recht weit verstandene Produktvergleichbarkeit abgestellt wird, wird diese Option den meisten Unternehmensgruppen verwehrt bleiben.

Verlustberücksichtigung im Vergleichsset

Da Routineunternehmen, für die TNNM-basierten Verrechnungspreisanpassungen allein in Frage kommen, bei üblichem Geschäftsverlauf geringe aber relativ stabile Gewinne erwirtschaften sollen, werden in der Benchmark-Erstellung Verlustunternehmen regelmäßig ausgeschlossen, was sich sowohl auf die Gesamt- als auch auf die Interquartilsbandbreiten erhöhend auswirkt.

Dass dies nicht immer, und somit auch nicht in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten, der Fall sein muss, zeigt die Finanzverwaltung mit ihrem Beispiel aus den Verwaltungsgrundsätzen – Verfahren von 2005 selbst. In der dortigen Textziffer 3.4.12.5. lit. d) führt die Finanzverwaltung selbst eine Benchmark exemplarisch durch, akzeptiert hierbei sogar mit einem sogenannten Dauerverlustmacher den Extremfall eines Verlustunternehmens, schließt diesen dann zwar im Rahmen der Bandbreiteneinengung aus, toleriert aber den mindernden Effekt auf die endgültige Bandbreite:

Erfahrung aus anderen Krisen

Eine weitere Option stellt die Modifikation der Bandbreiten durch Berücksichtigung von Krisenparametern dar. Hierzu würde anhand früherer Krisen versucht, die zu erwartenden Umsatz- und Gewinneinbrüche abzuschätzen, um dann einen belastbar ermittelten Krisenparameter in die Bandbreitenbestimmung einfließen zu lassen.
So sank beispielsweise die (zusammengefasste) EBIT-Marge der deutschen Automobilhersteller BMW, Daimler und VW während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 von 6,4 Prozent in 2007 über 4,9 Prozent in 2008 auf 0,1 Prozent in 2009 und betrug im Schnitt der Jahre 2006-2010 4,4 prozent. Solche Statistiken sind auch für andere Industrie-/ Branchen- und Regionen-Kombinationen verfügbar, so dass sich auf Basis aktueller Unternehmenszahlen Corona-Effekte zumindest nachvollziehbar approximieren lassen sollten. Die tatsächlichen Effekte werden hingegen erst ab dem Jahr 2021 in den entsprechenden Datenbanken verfügbar und somit quantifizierbar sein.

Ähnlich, jedoch mit unüblich größerem Zeithorizont, ließe sich die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 auch berücksichtigen, wenn der Betrachtungszeitraum der Benchmark erweitert würde, das heißt von in der Regel drei auf mehr als zehn Jahre. Bei dieser Überlegung ist jedoch schon fragwürdig, ob Kriseneffekte dann überhaupt sichtbar wären oder ob diese nicht durch die wirtschaftlich ungewöhnlich stabilen und erfolgreichen 2010er-Jahre überlagert würden.

 

Transparente Dokumentation

Ungeachtet der aktuellen Umstände sind Steuerpflichtige auch weiterhin zu ernsthaften Bemühungen einer fremdüblichen Verrechnungspreisfindung verpflichtet, und dies wird spätestens im Rahmen der nächsten Betriebsprüfung auch überprüft werden.

Da eine solche Überprüfung in aller Regel jedoch mit einigem Zeitverzug, also retrospektiv stattfindet, wird der Verrechnungspreisdokumentation sowie der Erfüllung der Mitwirkungspflichten eine besondere Rolle in der Verteidigung von Corona-Maßnahmen zukommen. Daher sollten Sie bereits jetzt dafür Sorge tragen, dass zur Verfügung stehende Optionen, deren Abwägung sowie die getroffene Entscheidung und hieraus abgeleitete Maßnahmen transparent, nachvollziehbar und umfänglich dokumentiert werden. Besondere Bedeutung wird hierbei sowohl der Identifikation des Handlungsbedarfs auf Basis von Soll-Ist-Abgleichen aber auch – soweit ergriffen – der Modifikation von Zielbandbreiten zukommen.

Unsere Einschätzung

Die Corona-Krise stellt sowohl hinsichtlich ihrer Ursache als auch mit Blick auf ihre wirtschaftlichen Auswirkungen ein Ereignis dar, dass es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Wir müssen davon ausgehen, dass es das Wirtschaftsgeschehen auch noch weiterhin und nachhaltig beeinflussen wird.

Für Unternehmensgruppen mit TNNM-basierten Verrechnungspreisanpassungen bestehen in dieser Krisenzeit insbesondere drei Handlungsempfehlungen: Zum Ersten sollten betroffene Unternehmen ihr Margen-Monitoring engmaschiger ausgestalten, um so frühzeitig in die Lage versetzt zu werden, Corona-Effekte zu identifizieren. Sie können dann Maßnahmen einleiten, deren Wirksamkeit überprüfen und bei Bedarf adjustieren.

Zum Zweiten scheint es empfehlenswert, sich detailliert mit dem für Verrechnungspreisanpassungen wichtigsten Instrument auseinanderzusetzen, den Benchmarks und den daraus abgeleiteten Zielprofitabilitäten, um Möglichkeiten sachgerechter Krisen-Anpassungen zu evaluieren.

Drittens sollten Sie einen Fokus auf die Verrechnungspreisdokumentation richten. Gerade in Corona-Zeiten gilt es, Umwelteinflüsse, bedachte Handlungsalternativen und getroffene Entscheidungen transparent abzuwägen und zu dokumentieren, warum Sie vom üblichem Verrechnungspreisverlauf abweichen.

Georg Wenz

Associate Partner, Consultative Economist, Head of Transfer Pricing

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