Zukünftige Entwicklungen der Wegzugsbesteuerung

12. August 2024

Wegzugsbesteuerung: Ein Plädoyer für mehr Freizügigkeit und Standortattraktivität

Kategorien: Steuerberatung

Inhaltsverzeichnis

Die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG hat in den vergangenen Jahren einige Verschärfungen erfahren – von der Abschaffung der dauerhaften und zinslosen Stundung in EU-Fällen über die Abschaffung von nachträglichen Wertminderungen bis hin zur Einführung einer Ausschüttungssperre. Doch haben diese Maßnahmen tatsächlich dazu geführt, dass weniger Menschen aus Deutschland wegziehen? Mitnichten. Im Gegenteil, die Zahl der Wegzüge von Leistungsträgern ist dramatisch gestiegen. 

Es stellt sich die Frage: Ist die Wegzugsbesteuerung in ihrer jetzigen Form noch zeitgemäß? Oder bedarf es eines grundlegenden Umdenkens, um in einer zunehmend mobileren und globalen Arbeitswelt wettbewerbsfähig zu bleiben und Deutschlands Attraktivität als Standort zu stärken? Diesen Fragen geht der folgende Beitrag nach und wagt einen Blick in die Zukunft der Wegzugsbesteuerung. 

Rückblick: Die Entwicklung der Wegzugsbesteuerung 

Schon seit Einführung des Außensteuergesetzes (AStG) 1972 gibt es in Deutschland eine Form der Wegzugsbesteuerung. Doch spätestens mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache Lasteyrie (2004) wurde klar: Eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven bei Wegzug innerhalb der EU verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit. Der EuGH forderte eine Stundung bis zur tatsächlichen Realisierung der Wertzuwächse. Deutschland reagierte 2006 mit der Einführung einer dauerhaften und zinslosen Stundungsmöglichkeit in § 6 Abs. 5 AStG aF.

Dann blieb es lange ruhig – bis zu einigen EuGH-Entscheidungen zur Entstrickungsbesteuerung im Betriebsvermögen und schließlich dem ATAD-UmsG, mit dem Deutschland 2022 die dauerhafte Stundung abschaffte und stattdessen ein Ratenzahlungskonzept einführte. Doch steht dieses im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung? 

Das BFH-Urteil in der Rechtssache Wächtler 

Diese Frage hatte jüngst der Bundesfinanzhof (BFH) zu beantworten. In seinem Urteil vom 05.12.2023 stellte er klar: Eine unionsrechtskonforme Anwendung des § 6 AStG erfordert eine dauerhafte und zinslose Stundung der festgesetzten Steuer bis zur tatsächlichen Realisation der stillen Reserven. Ein bloßes Ratenzahlungskonzept genügt dem nicht. 

Diese Aussage gilt nicht nur für die Rechtslage vor Abschaffung der Stundungsmöglichkeit (bis 31.12.2021), sondern auch für die aktuelle Fassung des § 6 AStG. Die klaren Worte des BFH lassen vermuten, dass er bei dieser Überzeugung bleiben und die Frage möglicherweise nicht noch einmal dem EuGH vorlegen wird. 

Konsequenzen für die Praxis 

Für die Praxis bedeutet das: Die festgesetzte Wegzugsteuer ist bis zur tatsächlichen Realisation der stillen Reserven zu stunden – und zwar ohne Rückgriff auf die weiteren Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AStG aF. Auch die neue Ausschüttungssperre ist nicht anzuwenden. Nachträgliche Wertminderungen sind zu berücksichtigen und bei Rückzug oder Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts muss die Wegzugsteuer entfallen. 

Steuer(rechts)politische Überlegungen 

Doch über diese rechtlichen Fragen hinaus sollten wir uns auch grundsätzlich fragen: Welche steuerpolitischen Konsequenzen sind aus der zunehmenden Mobilität in einer globalisierten Welt zu ziehen? 

Die jüngsten Verschärfungen der Wegzugsbesteuerung haben jedenfalls nicht zu weniger, sondern zu mehr Wegzügen geführt. Gerade Start-up-Unternehmer und Familienunternehmer mit international aufwachsenden Familien treffen oft bewusst die Entscheidung, das Land zu verlassen – aus Sorge, später praktisch gar nicht mehr gehen zu können. Und werden diese Leistungsträger, einmal gegangen, jemals zurückkehren und hier investieren? 

Auch für potenzielle Zuzügler ist die Wegzugsbesteuerung ein Warnsignal. Welchen Eindruck erweckt ein Land, das seine Bürger an der Ausübung ihrer persönlichen Freiheit zu hindern versucht? Während andere Staaten längst erkannt haben, dass fiskalische Anreize nötig sind, um hochqualifizierte und mobile Fachkräfte zu gewinnen, scheint die deutsche Steuerpolitik noch in alten Denkmustern verhaftet. 

Plädoyer für eine Neuausrichtung 

Eigentlich wäre der Gesetzgeber daher gut beraten, die Wegzugsbesteuerung ganz abzuschaffen. Will man diesen mutigen Schritt (noch) nicht gehen, sollte man sie zumindest auf ein sinnvolles Maß begrenzen. Denkbar wäre etwa eine Beschränkung auf inländische Beteiligungen, flankiert von einer bloßen Anzeige- und Meldepflicht, um das deutsche Besteuerungsrecht zu sichern. Alternativ könnte man den Steuerpflichtigen eine gesetzliche Option auf die Besteuerung der stillen Reserven einräumen – ggf. auch zeitlich und sachlich begrenzt. 

All das wäre besser als die gegenwärtige Regelung des § 6 AStG. Und es würde nicht nur EU-rechtliche Debatten vermeiden, sondern auch ein klares Signal senden: Deutschland steht für Freizügigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in einer globalen Welt. Packen wir’s an! Lesen Sie hierzu auch Außensteuergesetz (AStG) und Finanzierung in der Kriese: Zinslose Gesellschafterdarlehen bei drohender Insolvenz.

Unsere Einschätzung 

Die jüngste BFH-Entscheidung zur Wegzugsbesteuerung ist ein deutliches Signal: Ein bloßes Ratenzahlungskonzept genügt den unionsrechtlichen Anforderungen nicht. Vielmehr ist eine dauerhafte und zinslose Stundung bis zur tatsächlichen Realisation der stillen Reserven geboten. 

Doch über diese rechtliche Frage hinaus sollten wir die Wegzugsbesteuerung auch steuerpolitisch neu denken. In einer Zeit, in der Mobilität und Flexibilität immer wichtiger werden, kann eine restriktive Wegzugsbesteuerung schnell zum Standortnachteil werden. Sie befördert Wegzüge von Leistungsträgern und schreckt potenzielle Zuzügler ab. 

Stattdessen braucht es mutige Reformen, die Freizügigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt stellen. Sei es durch eine Abschaffung der Wegzugsbesteuerung, eine Beschränkung auf inländische Beteiligungen oder die Einräumung von Optionsmöglichkeiten für die Steuerpflichtigen. 

Die Richtung ist klar: Weg von Abschreckung und Verhinderung, hin zu Vertrauen und Attraktivität. Nur so kann Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb langfristig bestehen und die besten Köpfe für sich gewinnen. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken in der Wegzugsbesteuerung. Packen wir’s an! Wenn Sie weitere Fragen zum Thema haben, wenden Sie sich an Partnerin und Steuerberaterin Ann-Christin Büscher.  

Vermerk: Bitte beachten Sie, dass in diesem Dokument bei den durch Gesetze festgeschriebenen Begriffen auf das Gendern verzichtet wird, um die juristische Präzision und Klarheit zu wahren. In allen anderen Textteilen wird eine gendergerechte Sprache verwendet, um die Gleichstellung aller Geschlechter zu fördern.

Ann-Christin Büscher

COO International, Partnerin und Steuerberaterin

Expert:innen zu diesem Thema

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