7. Februar 2022
Abfindungen für Mieterinnen und Mieter können anschaffungsnaher Herstellungsaufwand sein
Inhaltsverzeichnis
- Was hat das Finanzgericht Münster zur Behandlung von Mieterabfindungen konkret entschieden?
- Wie begründet das Finanzgericht Münster die Entscheidung?
- Wann liegt anschaffungsnaher Herstellungsaufwand vor?
- Welche Folgen hat anschaffungsnaher Herstellungsaufwand in Bezug auf bereits erfolgte Veranlagungen?
- Handelsrechtlicher Begriff der Herstellungskosten
- Abgrenzung: anschaffungsnaher Herstellungsaufwand und Erhaltungsaufwand
- Wie Sie als Steuerpflichtige:r anschaffungsnahen Herstellungsaufwand vermeiden können
- Unsere Einschätzung
Das Finanzgericht (FG) Münster hat mit Urteil vom 12. November 2021 (Az. 4 K 1941/20 F) entschieden, dass gezahlte Abfindungen an Mieter oder Mieterinnen anschaffungsnaher Herstellungsaufwand sein können. Und zwar dann, wenn die vorzeitige Räumung der Durchführung von Renovierungsmaßnahmen dient. Lesen Sie hier, was das für Sie als Immobilienbesitzer:in bedeutet.
Was hat das Finanzgericht Münster zur Behandlung von Mieterabfindungen konkret entschieden?
Der vierte Senat des FG Münster hat entschieden, dass Abfindungszahlungen an Mieterinnen und Mieter nicht sofort in voller Höhe aufwandswirksam berücksichtigt werden können. Vielmehr stellen die Abfindungszahlungen sogenannten anschaffungsnahen Herstellungsaufwand im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1a Einkommensteuergesetz dar, wenn die dadurch bezweckte vorzeitige Räumung der schnelleren und vereinfachten Umsetzung von Renovierungsmaßnahmen dient.
Im vorliegenden Streitfall hatte die Klägerin, eine GbR, nach Erwerb einer Immobilie in den folgenden zwei Jahren Abfindungszahlungen an die bisherigen Mieter:innen gezahlt, um Renovierungsmaßnahmen durchführen zu können. Damit verfolgte sie den Zweck, dass durch deren vorzeitigen Auszug die Renovierungsarbeiten einfacher und schneller umgesetzt werden können. Die gezahlten Abfindungen hatte die Klägerin in voller Höhe sofort aufwandswirksam berücksichtigt. Die Finanzverwaltung gewährte jedoch den vollen Betriebsausgabenabzug nicht und behandelte die Aufwendungen als aktivierungspflichtige anschaffungsnahe Herstellungskosten. Eine Gesellschafterin der GbR klagte daraufhin.
Die Klage wurde letztendlich abgewiesen und die Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen. Über das anhängige Verfahren beim BFH (Az. IX R 29/21) wurde noch nicht endgültig entscheiden.
Wie begründet das Finanzgericht Münster die Entscheidung?
Die Richter:innen des vierten Senats begründeten ihre Entscheidung einerseits mithilfe der grammatikalischen Auslegung des § 6 Absatz 1 Nummer 1a Einkommensteuergesetz. Der Wortlaut der Vorschrift fasst demnach nicht nur Baukosten im technischen Sinne auf. Schon ein unmittelbarer Zurechnungs- beziehungsweise Veranlassungszusammenhang zwischen Abfindungszahlungen und beabsichtigter Baumaßnahme führt dazu, dass von anschaffungsnahem Herstellungsaufwand ausgegangen werden kann. Der Zusammenhang ist hier gegeben. Grund: Die Klägerin bezweckte mit den Abfindungszahlungen den vorzeitigen Auszug der Mieter:innen. Die beabsichtigten Maßnahmen konnte Sie anschließend durchführen.
Auch soll das weitere Verständnis der Vorschrift dazu führen, dass die Renovierung einer Immobilie unmittelbar nach Erwerb steuerlich mit dem Erwerb einer bereits renovierten Immobilie gleichgestellt wird. Eine bereits renovierte Immobilie wird zu einem höheren Kaufpreis erworben. Die nachträglich gezahlten Abfindungszahlungen für eine noch nicht renovierte Immobilie sollen hier den Ausgleich dafür schaffen, dass die Immobilie erst nach Erwerb renoviert wird und in ihrem Kaufpreis billiger war als eine bereits renovierte Immobilie.
Andererseits haben die Richter:innen auch die systematische Auslegung von anderen gesetzlichen Regelungen für ihre Begründung herangezogen. Der Herstellungskostenbegriff des § 255 Absatz 2 Handelsgesetzbuch ist in sich weit gefasst. Dadurch zählen Abstandszahlungen an Mieter:innen stets zu den Herstellungskosten des Gebäudes, wenn die vorzeitige Räumung das Ziel der Neubebauung verfolgt. Die auf die Herstellungskosten anzuwendenden Grundsätze sind nach Auffassung des FG Münster somit auf den anschaffungsnahen Herstellungsaufwand übertragbar. Deshalb sind sie gleich zu behandeln.
Wann liegt anschaffungsnaher Herstellungsaufwand vor?
Bei anschaffungsnahem Herstellungsaufwand im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1a Einkommensteuergesetz handelt es sich um eine steuerrechtliche Sonderregelung.
Aus steuerlicher Sicht sind Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen nicht als Erhaltungsaufwand erfolgswirksam zu erfassen. Sie gehören vielmehr zu den Herstellungskosten und werden in die Bemessungsgrundlage für die jährliche Abschreibung mit einbezogen.
Anschaffungsnaher Herstellungsaufwand liegt nur dann vor, wenn die Aufwendungen innerhalb von drei Jahren nach der Anschaffung des Gebäudes durchgeführt werden und ohne Umsatzsteuer 15 Prozent der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen.
Nicht dazu zählen Aufwendungen, die der Erweiterung des Vermögensgegenstandes gemäß § 255 Absatz 2 Satz 1 Handelsgesetzbuch dienen sowie jährlich anfallende Erhaltungsarbeiten wie beispielsweise Wartungsarbeiten.
Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung des BFH sind in die Berechnung der 15 Prozent-Grenze unter anderem die folgenden Aufwendungen mit einzubeziehen:
- Kosten für eine wesentliche Verbesserung
- Aufwendungen für die Herstellung der Betriebsbereitschaft/Vermietbarkeit
- Schönheitsreparaturen
- Aufwendungen für die Beseitigung versteckter Mängel
Zu beachten ist, dass die 15 Prozent-Grenze über die gesamte Zeitspanne von drei Jahren zu betrachten ist. Sie ist nicht für jedes Jahr gesondert zu berechnen. Anfallende und zu berücksichtigende Aufwendungen sind in den gesamten drei Jahren in die Berechnung miteinzubeziehen.
Noch nicht beendete Maßnahmen sind auch dann miteinzubeziehen, wenn mit diesen noch innerhalb der Dreijahres-Zeitspanne begonnen und sie innerhalb der Frist erbracht wurden.
Welche Folgen hat anschaffungsnaher Herstellungsaufwand in Bezug auf bereits erfolgte Veranlagungen?
Die 15 Prozent-Grenze wird häufig nicht im Rahmen der ersten Veranlagung nach Erwerb des Gebäudes überschritten. Erfolgt die Überschreitung also erst im zweiten oder im dritten Jahr nach der Anschaffung, liegt ein Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit vor. Es ist dann ein sogenanntes “rückwirkendes Ereignis”.
Es besteht eine Korrekturpflicht der bereits erlassenen Steuerbescheide nach § 175 Absatz 1 Nummer 2 Abgabenordnung.
Handelsrechtlicher Begriff der Herstellungskosten
Der handelsrechtliche Begriff der Herstellungskosten ist im § 255 Absatz 2 Handelsgesetzbuch geregelt. Er deckt sich mit dem steuerrechtlichen Herstellungskostenbegriff.
Darunter fallen sämtliche Aufwendungen, die der Herstellung des Vermögensgegenstandes dienen. Diese Aufwendungen können in dem Verbrauch von Gütern bestehen, aber auch in der Inanspruchnahme von Diensten anderer. Ferner fallen auch Aufwendungen für die Erweiterung des Vermögensgegenstandes sowie Maßnahmen für seine Verbesserung darunter, soweit diese über den ursprünglichen Zustand hinausgehen. Ein Anhaltspunkt für eine wesentliche Verbesserung kann unter anderem eine Wesensveränderung des Vermögensgegenstandes sein.
Sollte anschaffungsnaher Herstellungsaufwand vorliegen, wird dieser nachträglich zu den Herstellungskosten aktiviert und in das Abschreibungsvolumen mit einbezogen.
Abgrenzung: anschaffungsnaher Herstellungsaufwand und Erhaltungsaufwand
Der wesentliche Unterschied zwischen anschaffungsnahem Herstellungsaufwand und Erhaltungsaufwand ist deren steuerliche Behandlung.
Anschaffungsnaher Herstellungsaufwand führt zu einer nachträglichen Aktivierung von Herstellungskosten und somit zu einer erhöhten Bemessungsgrundlage für die jährliche Abschreibung. Eine steuerliche Berücksichtigung ist somit nicht sofort in voller Höhe möglich, sondern nur über die jährliche Abschreibung auf das Gebäude.
Erhaltungsaufwand allerdings ist als sofortiger Aufwand berücksichtigungsfähig. Er wird nicht zu den Herstellungskosten aktiviert und kann in voller Höhe erfolgsmindernd angesetzt werden.
Wie Sie als Steuerpflichtige:r anschaffungsnahen Herstellungsaufwand vermeiden können
Als steuerpflichtige:r Immobilienbesitzer:in können Sie anschaffungsnahen Herstellungsaufwand am besten vermeiden, wenn sie mit größeren Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen erst drei Jahre nach Anschaffung des Gebäudes beginnen. Alternativ können Sie gezielt die Kostenkalkulation im Auge behalten.
Danach anfallende Erhaltungsaufwendungen können Sie grundsätzlich im Jahr ihrer Entstehung in voller Höhe erfolgsmindernd berücksichtigen.
Wenn es um ein Gebäude geht, das nicht in einem Betriebsvermögen gehalten wird und überwiegend Wohnzwecken dient, besteht ein Wahlrecht nach § 82b Einkommensteuer-Durchführungsverordnung. Größere Aufwendungen können dann gleichmäßig über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren verteilt werden.
Unsere Einschätzung
Die Behandlung der Abfindungszahlungen ist ein umstrittenes Thema. Deshalb wurde auch die Revision beim BFH zugelassen.
Die Auffassung des FG Münster kann teilweise als zweifelhaft angesehen werden. Die Formulierung des anschaffungsnahen Herstellungsaufwands ist in sich enger gefasst, da lediglich Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen aufgegriffen werden. Hier ist fraglich, ob sich das FG Münster zu Recht auf den weit gefassten Begriff der Herstellungskosten berufen und die Behandlung von Abstandszahlungen als Herstellungskosten zur Begründung angeführt hat.
Bis zur endgültigen Entscheidung des BFH und auch sonst raten wir Ihnen, mit größeren Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen erst drei Jahre nach Anschaffung des Gebäudes zu beginnen. Außerdem sollten Sie vorab prüfen, welche steuerlichen Folgen die geplanten Maßnahmen haben können.
Sollten Sie Fragen zu Mieterabfindungen, anschaffungsnahem Herstellungsaufwand und ähnlichen Themen haben, sprechen Sie uns jederzeit gerne an!