
31. Juli 2025
BFH-Urteil zur wirtschaftlichen Neugründung: Zahlungen erhöhen nicht automatisch das Nennkapital
Am 25. Februar 2025 hat der Bundesfinanzhof (Az. VIII R 22/22) ein Urteil gefällt, das für alle Kapitalgesellschaften von großer Bedeutung ist. Es klärt, wie Zahlungen im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Neugründung steuerlich einzuordnen sind. Kernpunkt: Eine Zahlung in diesem Zusammenhang führt nicht zu einer Nennkapitaleinlage. Stattdessen stärken solche Leistungen das steuerliche Einlagekonto – mit weitreichenden Folgen für künftige Ausschüttungen und die handelsrechtliche Bilanzierung.
Was ist eine wirtschaftliche Neugründung?
Eine wirtschaftliche Neugründung liegt vor, wenn eine bereits bestehende juristische Person – z. B. eine GmbH oder AG – ohne Liquidation und ohne formelle Neugründung im handelsrechtlichen Sinne umfassend neu aufgestellt wird. Typische Anzeichen:
- Übernahme durch neue Gesellschafter,
- deutliche Änderung des Unternehmensgegenstands oder der Satzung,
- Sitzverlegung,
- Eintragung der „wirtschaftlichen Neugründung“ im Handelsregister.
Rechtlich entsteht keine neue Gesellschaft, dennoch gelten besondere Offenlegungspflichten. Das Registergericht verlangt etwa, dass die Kapitalaufbringung erneut nachgewiesen wird. Dies soll Gläubiger schützen und Transparenz schaffen.
Was ist das Nennkapital?
Das Nennkapital ist der in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag festgelegte Betrag, mit dem eine Kapitalgesellschaft haftet.
- Bei der GmbH ist es das Stammkapital, bei der AG das Grundkapital.
- Es dient als Basis für die Beteiligungsverhältnisse und sichert Gläubigern einen Mindesthaftungsrahmen.
- Veränderungen des Nennkapitals (Kapitalerhöhung oder ‑herabsetzung) müssen notariell beurkundet und ins Handelsregister eingetragen werden.
Warum ist die richtige Verbuchung in der Handelsbilanz wichtig?
Das Nennkapital muss in der Handelsbilanz korrekt ausgewiesen werden, weil:
- es gesetzlichen Kapitalerhaltungsregeln unterliegt,
- Ausschüttungen nur aus frei verfügbaren Gewinnen und nicht aus dem Nennkapital zulässig sind,
- Gläubigerschutz und Registerklarheit gewährleistet werden müssen,
- fehlerhafte Buchungen zu Haftungsrisiken und steuerlichen Problemen führen können.
Eine unzutreffende Verbuchung – etwa das fälschliche Buchen einer Einlage auf das Nennkapital – kann dazu führen, dass das Eigenkapital unzutreffend dargestellt wird und Ausschüttungen unzulässig werden.
Was ist das steuerliche Einlagekonto?
Das steuerliche Einlagekonto (§ 27 KStG) erfasst Einlagen der Anteilseigner, die nicht dem Nennkapital zugeordnet werden.
- Es handelt sich um eine steuerliche Größe, nicht um einen Posten der Handelsbilanz.
- Ausschüttungen aus diesem Konto können grundsätzlich steuerfrei erfolgen.
- Es muss jährlich in der Körperschaftsteuererklärung festgestellt werden.
Aussagen des BFH zum konkreten Urteil
- Hintergrund des Streitfalls
Eine Aktiengesellschaft hatte noch offene Einlagen aus der ursprünglichen Gründung. Jahre später erfolgte eine wirtschaftliche Neugründung: Ein neuer Alleinaktionär übernahm alle Aktien, änderte Firma und Satzung, verlegte den Sitz und zahlte wegen der auch auf die wirtschaftliche Neugründung anzuwendenden Gründungsvorschriften 12.500 Euro ein mit dem auslegungsbedürftigen Verwendungszweck „Einlage 25 % Stammkapital“. Damit stellte sich die Frage, ob tatsächlich Nennkapital eingezahlt oder eine sonstige Einlage in Höhe von 25% des Nennkapitals eingezahlt worden war.Das Finanzamt wertete diese Zahlung als Nennkapitaleinlage. Das Finanzgericht sah dies anders, und der BFH bestätigte: Diese Zahlung ist nicht als erneute Einzahlung auf in das durch Verluste aufgebrauchte Nennkapital zu behandeln, sondern als Leistung in das steuerliche Einlagekonto.
- Kernaussagen des BFH
- Eine wirtschaftliche Neugründung führt nicht dazu, dass frühere Einlageverpflichtungen „wieder aufleben“.
- Eine Zahlung erhöht nur dann das Nennkapital, wenn damit eine konkrete, noch bestehende Einlagepflicht erfüllt wird.
- Zahlungen ohne bestehende Einlagepflicht sind dem steuerlichen Einlagekonto zuzurechnen.
- Bedeutung für die Praxis
- Korrekte Buchung sicherstellen: Zahlungen müssen sauber zwischen Nennkapital und Einlagekonto abgegrenzt werden. Eine fehlerhafte Buchung kann die Bilanz verfälschen und Ausschüttungen blockieren.
- Gestaltungsmöglichkeiten nutzen: Ein gut gefülltes Einlagekonto erlaubt spätere steuerfreie Ausschüttungen.
- Dokumentation: Die Mittelverwendung muss klar dokumentiert sein, um Streit mit dem Finanzamt zu vermeiden.
- Einordnung der Finanzverwaltung
Die Finanzverwaltung hat signalisiert, die Grundsätze des Urteils zu beachten. Damit ist das Urteil auch für künftige Fälle maßgeblich.
Unsere Einschätzung
Das Urteil bringt wichtige Klarheit für Kapitalgesellschaften: Eine wirtschaftliche Neugründung begründet keine neue Einlagepflicht auf das Nennkapital. Zahlungen können stärken stattdessen das steuerliche Einlagekonto stärken und ermöglichen steuerliche Vorteile bei Ausschüttungen ermöglichen.
Die korrekte Abgrenzung und Verbuchung zwischen Nennkapital und Einlagekonto ist essenziell, um handelsrechtliche und steuerliche Risiken zu vermeiden. Eine frühzeitige Prüfung und sorgfältige Dokumentation sichern Gestaltungsspielräume und verhindern spätere Konflikte mit dem Finanzamt. Idealerweise sollte bei Überweisungen auch der Verwendungszweck zielführend formuliert werden.
Für geplante Umstrukturierungen empfiehlt es sich, rechtzeitig fachkundigen Rat einzuholen. Wir stehen Ihnen dazu gerne zur Verfügung. Wenden Sie sich an unseren Experten Lars Rinkewitz.
Über unseren Gastautor
Co-Autor StB Dipl.-Finw. (FH) Bernd-Michael Stoephasius arbeitet seit 2007 im Bereich der Beratung von Heilberufler:innen am Standort Mülheim an der Ruhr, der nun zu ECOVIS KSO gehört. Vorausgegangen sind eine fast achtjährige Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsprüfung, aus der sich bis heute eine Affinität zur Besteuerung von Kapital- und Personenhandelsgesellschaften ergibt.