BGH-Entscheidung zum Recht auf Vergessenwerden
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25. Mai 2023

BGH-Entscheidung zum Recht auf Vergessenwerden

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 23. Mai 2023 ein wegweisendes Urteil (VI ZR 476/18) zum Recht auf Vergessenwerden gegen Betreiber von Suchmaschinen wie Google oder Bing gefällt. Dabei hat er klargestellt, dass es einen Unterschied macht, ob die Berichterstattung nachweislich falsch ist oder nicht. Zudem hat er sich zu den Besonderheiten bei der Veröffentlichung von Vorschaubildern (Thumbnails) geäußert. Was dies für Sie bedeutet, erfahren Sie hier. 

Grundsatzentscheidungen des EuGH zum Thema Recht auf Vergessenwerden

Das Thema Recht auf Vergessenwerden ist nicht neu und wurde bereits mehrfach von deutschen und europäischen Gerichten verhandelt. 

2014 entschied der EuGH (Urt. v. 24.09.2019, Az. C-131/12 „Google Spain“) in einem Grundsatzurteil, dass Links zu personenbezogenen Daten aus Trefferlisten von Suchmaschinen entfernt werden müssen. Dies gilt, wenn diese Daten unrichtig oder unangemessen sind und kein überwiegendes öffentliches Interesse an ihrer Verbreitung besteht. Dieses Urteil gilt als Geburtsstunde des Rechts auf Vergessenwerden im Internet.

2019 hat der EuGH (Urt. v. 24.09.2019, Az. C-507/17) präzisiert, dass das Recht auf Vergessenwerden grundsätzlich nur innerhalb der EU gilt und nicht weltweit. Das bedeutet, Google muss nur Links aus seinen europäischen Domains wie google.de oder google.fr löschen, nicht aber aus seinen globalen Domains wie google.com.

Was ging der Entscheidung des BGH zum Vergessenwerden voraus?

Der Kläger war Geschäftsführer einer gemeinnützigen Organisation, die Spenden für wohltätige Zwecke sammelte. 2011 berichteten mehrere Medien über Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung von Spendengeldern und über den Rücktritt des Klägers als Geschäftsführer. Die Berichte enthielten den vollständigen Namen des Klägers und Fotos von ihm. Die Berichte waren auch über Google auffindbar.

Der Kläger verlangte von Google das Entfernen der Links zu den Berichten aus der Trefferliste, wenn man nach seinem Namen sucht. Er berief sich auf sein Recht auf Vergessenwerden nach Artikel 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Er machte geltend, dass die Berichte unwahr seien und sein Persönlichkeitsrecht verletzten. Außerdem verlangte er die Entfernung von Thumbnails, die sein Gesicht zeigten, aus den Suchergebnissen.

Das Landgericht hat die Klage zunächst abgewiesen, auch die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 27. Juli 2020 zunächst ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zwei Fragen zur Auslegung von Art. 17 Abs. 1 DSGVO zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Fragen mit Urteil vom 8. Dezember 2022 (C-460/20) beantwortet, woraufhin der BGH nun entsprechend der vom EuGH vorgegebenen Rechtsansicht geurteilt hat.

Wie lautet die Entscheidung des BGH zum Vergessenwerden?

Der BGH gab dem Kläger teilweise recht, formulierte aber auch einige Einschränkungen des Rechts auf Vergessenwerden.

Ein wichtiger Aspekt ist der Unterschied zwischen wahrer und unwahrer Berichterstattung. Der BGH betonte zunächst, dass das Recht auf Vergessenwerden kein absolutes Recht ist. Es müsse vielmehr immer eine Abwägung zwischen den Grundrechten des bzw. der Betroffenen und denen des Suchmaschinenbetreibers sowie der Allgemeinheit stattfinden. Entscheidend für den Ausgang einer solchen Abwägung sei, ob die Berichterstattung nachweislich falsch sei oder nicht.

Ist die Berichterstattung nachweislich falsch, hat der bzw. die Betroffene grundsätzlich einen Anspruch auf Löschung der Links aus der Trefferliste. Denn eine falsche Berichterstattung verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des bzw. der Betroffenen in schwerwiegender Weise und kann nicht durch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit gerechtfertigt werden.

Ist die Berichterstattung hingegen wahr oder zumindest nicht nachweisbar unwahr, muss eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen werden. Dabei müssen insbesondere folgende Punkte berücksichtigt werden:

  • die Art und Schwere des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des oder der Betroffenen,
  • das Informationsinteresse der Öffentlichkeit,
  • die Aktualität und Relevanz der Berichterstattung,
  • das Verhalten des oder der Betroffenen.

Im vorliegenden Fall stellte der BGH fest, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, dass die Berichterstattung über ihn unwahr ist. Daher wurde eine Abwägung vorgenommen, bei der der BGH zu dem Ergebnis kam, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt. Die Berichte über den Geschäftsführer betrafen einen Sachverhalt von allgemeinem Interesse, nämlich die Verwendung von Spendengeldern für wohltätige Zwecke. Zudem sind die Berichte noch aktuell und relevant, da sie erst wenige Jahre zurückliegen und sich auf ein laufendes strafrechtliches Ermittlungsverfahren beziehen. Der Beschwerdeführer selbst hat zudem durch seine Tätigkeit als Geschäftsführer einer gemeinnützigen Organisation eine gewisse Öffentlichkeit gesucht und muss daher eine kritische Berichterstattung hinnehmen.

Welche Besonderheiten gibt es bei Vorschaubildern?

Der BGH äußerte sich auch zu den Besonderheiten bei Thumbnails, also den kleinen Vorschaubildern, die bei der Google-Suche neben den Links angezeigt werden. Der Kläger hatte beanstandet, dass diese Bilder ihn identifizierbar machten und sein Recht am eigenen Bild verletzten.

Laut BGH können Vorschaubilder grundsätzlich vom Recht auf Vergessenwerden erfasst sein, wenn sie einen Bezug zu dem bzw. der Betroffenen herstellen und einen Eingriff in dessen bzw. deren Recht am eigenen Bild darstellen. Eine Grundrechtsabwägung muss auch hier vorgenommen werden, bei der insbesondere berücksichtigt werden muss, ob die Vorschaubilder einen zusätzlichen Informationswert haben oder lediglich eine Illustration darstellen.

Im vorliegenden Fall hat der BGH entschieden, dass die Thumbnails keinen zusätzlichen Informationswert haben, sondern lediglich eine Illustration darstellen. Denn sie zeigten lediglich Porträtfotos des Klägers ohne weiteren Kontext. Daher habe der Kläger einen Anspruch auf Löschung der Thumbnails aus der Trefferliste.

Unsere Einschätzung

Das Urteil des BGH zeigt, dass das Recht auf Vergessenwerden gegenüber Suchmaschinenbetreibern kein einfaches Recht ist, sondern eine komplexe Abwägung erfordert. Dabei macht es einen entscheidenden Unterschied, ob die Berichterstattung nachweislich falsch ist oder nicht. Auch bei Thumbnails muss differenziert werden.

Die Frage, ob eine Löschung möglich ist, muss daher immer einzelfallabhängig beurteilt werden. Deshalb ist eine anwaltliche Beratung empfehlenswert. So verbessern sich die Erfolgsaussichten für eine Löschung von Inhalten aus den Ergebnissen von Suchmaschinen.

Als Wirtschaftsanwält:innen mit langjähriger Erfahrung im Medien-, IT- und Datenschutzrecht stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung, um Sie bei Ihrem Anliegen zu unterstützen. Kommen Sie gerne auf uns zu. Wir beraten Sie.

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