26. Juni 2024
Bundesfinanzhof-Urteil zur Restnutzungsdauer: Lockerungen der Finanzverwaltungsvorgaben
Der Bundesfinanzhof hat mit seinem Urteil vom 23. Januar 2024 (IX R 14/23) die strengen Anforderungen des Bundesministeriums der Finanzen zum Nachweis der kürzeren tatsächlichen Restnutzungsdauer etwas gelockert. So kann der Nachweis auch durch ein Sachverständigengutachten erbracht werden, demnach die Restnutzungsdauer modellhaft nach § 4 Abs. 3 Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) ermittelt wird. Insbesondere sei die Abstellung auf die wirtschaftliche Nutzungsdauer als Nachweis völlig ausreichend. Die Beurteilung des technischen Verschleißes einzelner Bauteile sei für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht erforderlich.
Was war geschehen?
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hatte mit dem Schreiben vom 22.02.2023 eine Anwendungsregelung an die obersten Finanzbehörden der Länder für die Inanspruchnahme der Absetzung für Abnutzung (AfA) nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer herausgegeben. Darin wurden die maßgeblichen Kriterien für die Schätzung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer erweitert. Die Nutzungsdauer werde durch bestimmte Einflussfaktoren bestimmt (sogenannte maßgebliche Determinanten). Zu diesen Einflussfaktoren gehören:
- der technische Verschleiß,
- die wirtschaftliche Entwertung sowie
- rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können.
Auszugehen sei regelmäßig von der technischen Nutzungsdauer – also dem Zeitraum, in dem sich das Gebäude substanztechnisch abnutzt. Demnach könne eine mit wirtschaftlicher Entwertung begründete kürzere tatsächliche Nutzungsdauer der Absetzung für Abnutzung (AfA) nur zugrunde gelegt werden, wenn das Gebäude vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht und eine anderweitige Verwendung des Gebäudes nicht in Betracht kommt. Die bloße Übernahme einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten sei als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG nicht geeignet.
Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ergeben sich die weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen des BMF-Schreibens vom 22.02.2023 für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer durch Sachverständigengutachten nicht aus dem Gesetz. Weder § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG noch § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV geben vor, nach welcher Gutachtenmethode vorzugehen sei. Demgegenüber sei die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 4 Abs. 3 ImmoWertV eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode, die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden könne.
Ein auf die Vorgaben der ImmoWertV gestütztes Sachverständigengutachten sei auch geeignet, Aufschluss über die für die tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten zu geben. § 4 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV ordne eine wirtschaftliche Bestimmung der Restnutzungsdauer an, stelle somit nicht auf den technischen Verschleiß eines Gebäudes ab.
Daher sei eine Forderung, dass sich ein Sachverständigengutachten zu sämtlichen für die Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten äußern müsse, nicht nachvollziehbar. Das Schreiben des BMF bleibt gültig. Bei der steuerlichen Bewertung muss entschieden werden, ob der feste AfA-Satz oder eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer angewendet wird. Dafür ist weiterhin ein Gutachten eines qualifizierten Sachverständigen erforderlich, der entweder öffentlich bestellt oder nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifiziert ist.
Welche Anforderungen muss ein Gutachten erfüllen, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer nachzuweisen?
Das BFH-Urteil vom 23.01.2024 bestätigt, dass sich der Steuerpflichtige jeder sachverständigen Methode bedienen könne, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Die gewählte Methode muss jedoch Informationen zu den wichtigsten Faktoren der Nutzungsdauer liefern – zum Beispiel technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung und rechtliche Nutzungsbeschränkungen.
Eine Festlegung auf eine bestimmte Gutachtenmethodik (zum Beispiel Bausubstanzgutachten) oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren würde demgegenüber die Anforderungen an den Steuerpflichtigen überspannen. Daraus folgt, dass ein Gutachten, durch welches die Restnutzungsdauer eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt werde, für die Inanspruchnahme des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG genügt (so bereits BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, Rz 19 ff.).
Wichtige Erkenntnisse aus dem Bundesfinanzhof-Urteil
- Die Abstellung auf die wirtschaftliche Nutzungsdauer des Gebäudes ist als Nachweis ausreichend.
- Die zusätzliche Beurteilung des technischen Verschleißes einzelner Bauteile ist gutachterseits nicht erforderlich. Es muss kein Bausubstanzgutachten vorgelegt werden.
- Qualifikation des Sachverständigen weiterhin entscheidend: entweder im Sachgebiet der Immobilienbewertung öffentlich bestellt oder von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Zertifizierungsstelle zertifiziert.
- Für die Schätzung der Nutzungsdauer muss eine sachverständige Begutachtung erfolgen, die sich mit den individuellen Gegebenheiten des Objekts (z.B. durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen oder Modernisierungen) auseinandersetzt und diese im Gutachten entsprechend berücksichtigt. So ist insbesondere der Modernisierungsgrad des Wertermittlungsobjekts einer „sachverständigen Einschätzung“ zu unterziehen.
Unsere Einschätzung
Das Schreiben des BMF behält seine Gültigkeit. Bei der steuerlichen Bewertung ist es entscheidend zu prüfen, ob der typisierte feste AfA-Satz oder eine verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer geltend gemacht wird. Für den Nachweis ist weiterhin ein Gutachten eines qualifizierten Sachverständigen erforderlich, der entweder öffentlich bestellt oder nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifiziert ist. Wenn Sie hierzu Fragen haben, wenden Sie sich an unseren Rechtsanwalt Carsten Meier oder an unseren Steuerberater Peter Kollenbroich.