Das erschüttert den Beweiswert von Krankschreibungen
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22. Januar 2024

Das erschüttert den Beweiswert von Krankschreibungen

Am 13.12.2023 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) durch das Urteil (5 AZR 137/23): Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn Arbeitnehmer:innen in Folge einer Kündigung mehrere Bescheinigungen vorlegen. Das gilt, wenn diese genau die Dauer der Kündigungsfrist abdecken und unmittelbar nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen wird. Alles Wichtige zu diesem Urteil erfahren Sie hier.

Streitfall: Der Beweiswert einer Krankschreibung bei erheblichen Zweifeln

In diesem Fall kündigte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer am 2. Mai 2022 ordentlich zum Ende des Monats. Der Mitarbeiter wurde dann vom 2. bis zum 6. Mai 2022 durch einen Arzt krankgeschrieben. Im Anschluss reichte er zwei Folgebescheinigungen ein, insgesamt bis zum 31. Mai 2022. Der Arbeitgeber zweifelte die Krankschreibung an, da sie genau vor dem Antritt einer neuen Beschäftigung endete. Er verweigerte die Entgeltfortzahlung mit dem Grund, dass der Beweiswert der Krankschreibung erschüttert sei. Der Arbeitnehmer klagte und war mit seiner Zahlungsklage sowohl erstinstanzlich als auch vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen erfolgreich. Erst das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte anders und hob die Entscheidung der Vorinstanzen auf.

Urteilsgründe des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu Krankschreibungen

Grundsätzlich haben Arbeitnehmer:innen gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den/die Arbeitgeber:in. Das gilt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Dabei darf die Arbeitnehmer:innen kein Verschulden treffen. 

Die erste Krankmeldung bis zum 06. Mai 2022 wertete das BAG als wirksam im Gegensatz zu den Folgebescheinigungen bis zum 31. Mai 2022. Die Vorinstanz habe laut BAG folgendes nicht berücksichtigt: Zwischen der Verlängerung und der Kündigungsfrist bestehe ein zeitlicher Zusammenhang. Auch der Umstand, dass der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen neuen Job aufgenommen habe, sei zu berücksichtigen. Aufgrund dessen treffe den Arbeitnehmer für diesen Zeitraum die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, wenn er die Entgeltfortzahlung bekommen will. Es komme bei den erheblichen Zweifeln des Arbeitgebers jedoch nicht darauf an, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Beschäftigten oder vom Unternehmen ausgegangen sei. Ebenso wenig solle der Umstand, dass ein oder mehrere Atteste vorgelegt werden, die Glaubwürdigkeit der Bescheinigung betreffen.

Das BAG hob in dem Urteil deutlich hervor, dass stets die einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände maßgeblich sei und nicht nur das strikte Vorlegen einer Krankschreibung. Es könne daher auch der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein.

Krankschreibung: Folgen des Urteils – Stärkung der Arbeitgeberposition

Die ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bleibt weiterhin das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Im Einzelfall kann allerdings der Beweiswert verringert sein, wenn Arbeitnehmer:innen 

  1. in der Zeit zwischen der Zustellung ihrer Kündigung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mehrere Folgebescheinigungen vorlegen und 
  2. eine unmittelbar anschließende Beschäftigung aufnehmen. 

Ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit durch den/die Arbeitgeber:in genügt nicht. Arbeitgeber:innen haben in der Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen und können weiterhin nur eingeschränkt Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vortragen. Tatsachen, die den Beweiswert erschüttern, können sich aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ergeben. Erhebliche Zweifel an der Krankschreibung führen jedoch nicht sofort zu einem Entfallen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung. Es liegt eine Beweislastumkehr zu Lasten der Arbeitnehmer:innen vor. Diese müssen beweisen, dass sie tatsächlich im genannten Zeitraum krank und somit arbeitsunfähig waren. Hierzu können die Arbeitnehmer:innen

  • die Krankheitsumstände näher erläutern, 
  • ärztliche Befundberichte vorlegen oder 
  • den ausstellenden Arzt/die ausstellende Ärztin als Zeugen/Zeugin nennen.

Unsere Einschätzung

Arbeitnehmer:innen werden durch die Entscheidung des BAG nicht schutzlos gestellt. Es zeichnet sich allerdings als Folge in der Praxis ab, dass Arbeitgeber:innen bei Krankschreibungen, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Kündigung erfolgen, in Zukunft genauer hinsehen werden. Wenn berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen, können Arbeitgeber:innen versuchen, gegen die Lohnfortzahlung vorzugehen. Denn die Krankschreibung als solche stellt keinen Beweiswert dar, der nicht erschüttert werden könnte. Wenn Sie Fragen zum Arbeitsrecht haben, sprechen Sie uns an. Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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