3. Mai 2023
Die nächste große Überprüfung der umsatzsteuerlichen Organschaft
Der Bundesfinanzhof (BFH) legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Beschluss vom 26.01.2023 diverse Fragen zu einem strittigen Fall V R 20/22 (V R 40/19) vor. Die Fragen drehen sich um die umsatzsteuerliche Organschaft, die damit wieder in den Mittelpunkt einer steuerrechtlichen Diskussion rückt. Was eine umsatzsteuerliche Organschaft ist und warum die aktuellen Fragen des BFH hohe Wellen schlagen, erfahren Sie hier.
Was ist eine umsatzsteuerliche Organschaft?
Eine umsatzsteuerliche Organschaft entsteht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, wenn ein Unternehmen in wirtschaftlicher, finanzieller und organisatorischer Hinsicht in ein anderes eingegliedert ist. Die beteiligten Unternehmen bilden in diesem Fall den Organkreis, der aus einer oder mehreren Organgesellschaften (OG) und dem Organträger (OT) besteht. Innerhalb dieses Organkreises wird der OT als Unternehmer und die OG als unselbstständiger Teil des Gesamtunternehmens angesehen. (Abschn. 2.8 Abs. 1 S. 6 UStAE).
Was sind die Vorteile einer umsatzsteuerlichen Organschaft?
Die umsatzsteuerliche Organschaft reduziert den bürokratischen Aufwand in der Steuerverwaltung. Innerhalb des Organkreises ist bislang nur der Organträger als alleiniger Steuerpflichtiger verantwortlich für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen und der daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen. Sie beinhalten die konsolidierten Umsätze des Organkreises. Innenumsätze, also Geschäfte zwischen den Mitgliedern des Organkreises, gelten als nicht steuerbar und damit nicht steuerpflichtig, sofern der Leistungsort im Inland liegt.
Viele Unternehmen, die nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, zum Beispiel Banken oder Krankenhäuser, nutzen die umsatzsteuerliche Organschaft, damit sie von nicht steuerbaren Innenumsätzen profitieren. Dadurch verringert sich ihre Umsatzsteuerbelastung, da in diesem Fall keine Umsatzsteuer anfällt. Allerdings stellt der Bundesfinanzhof (BFH) das in der Praxis weit verbreitete Modell durch seine Vorlagefragen an den EuGH auf die Probe. Einige Unternehmen müssen um ihre Steuervorteile bangen.
Worum geht es bei der Entscheidung des EuGH?
Geklagt hat eine juristische Person des öffentlichen Rechts (hier: L). L ist Organträgerin und bezieht regelmäßig Dienstleistungen (Reinigungsleistung) ihrer Tochtergesellschaft (hier: die U-GmbH), die zugleich als Organgesellschaft in die Organträgerin eingegliedert ist. Diese Dienstleistung erbringt die U-GmbH für den unternehmerischen Bereich (das Krankenhaus) und für den hoheitlichen Bereich (die Unterrichtsräume für Studierende) von L.
Nach Meinung des Finanzamtes stellten die Dienstleistungen im unternehmerischen Bereich von L unstreitig nicht steuerbare Innenumsätze dar, da diese innerhalb des Organkreises erfolgten. Die Dienstleistungen für den hoheitlichen Bereich müssten jedoch als unentgeltliche Wertabgaben nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG behandelt werden. Hierfür müsste die Umsatzsteuer abgeführt werden. Der Grund für die gesonderte Behandlung der Umsätze: Der hoheitliche Bereich von L diene einem unternehmensfremden Zweck. Die aufgewendeten Dienstleistungen begründen als Folge eine unternehmensfremde Tätigkeit.
Aus Sicht des Finanzgerichtes seien auch die für den hoheitlichen Bereich erbrachten Dienstleistungen als nicht steuerbare Innenumsätze zu behandeln. Eine umsatzsteuerliche Organschaft schließe diesen Bereich mit ein. Ferner sei der hoheitliche Bereich von L nicht unternehmensfremd, sodass man auch nicht von einer unentgeltlichen Wertabgabe sprechen könne.
Welche Fragen werden dem EuGH vorgelegt?
Der BFH wollte mit seinem ersten Vorabentscheidungsersuchens vom 07.05.2020, V R 40/19 wissen, ob die deutsche Regelung bezüglich umsatzsteuerlicher Organschaften unionsrechtskonform und ob eine Entnahmebesteuerung im Rahmen einer unentgeltlichen Wertabgabe bei L vorzunehmen sei. Nach bisheriger Rechtsprechung des BFH unterliegen Innenumsätze nicht der Umsatzsteuer und sind somit nicht steuerbar. In einem Urteil bekräftigte der EuGH die Position, nach welcher die nationale Regelung bezüglich der umsatzsteuerliche Organschaft unionsrechtskonform und im Streitfall von einer Entnahmebesteuerung abzusehen ist (EuGH-Urteil Finanzamt T v. 01.02.2022, C-269/20 (EU:C:2022:944).
Im Zusammenhang mit einem weiteren EuGH-Urteil (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie v. 01.12.2022, C-141/20; EU:C:2022:943) stellt sich aktuell vonseiten des BFH die Frage, ob Innenumsätze innerhalb eines Organkreises generell nicht steuerbar sind oder ob diese zumindest dann steuerbar sind, wenn der Leistungsempfänger nicht oder teilweise nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da sonst die Gefahr von Steuerausfällen drohe. Laut BFH seien Indikationen für eine Steuerbarkeit dieser Innenumsätze, vor allem im Hinblick auf bisherige Urteile des EuGHs gegeben und das nationale Recht dementsprechend neu auszulegen. Diese Fragen bringen eine erhebliche Brisanz mit.
Bedeutung der neuen Vorlagefragen des BFHs
Die kommende Entscheidung des EuGHs bezüglich der am 26.01.2023 vorgelegten Fragen über die Steuerbarkeit von Innenumsätzen wird mit Spannung verfolgt. Sollten Innenumsätze tatsächlich als steuerbar erachtet werden, würde dies das System der umsatzsteuerlichen Organschaft komplett umkrempeln. Viele Unternehmer müssten umdenken. Leistungen innerhalb eines Organkreises würden dann Umsatzsteuer auslösen und es käme zu einer Belastung für nicht vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen wie zum Beispiel Krankenhäuser.
Der Hauptzweck der bewussten Begründung einer umsatzsteuerlichen Organschaft, für Unternehmen, die nicht vorsteuerabzugsberechtigt sind, besteht darin, die Umsatzsteuerbelastung durch die nicht steuerbaren Innenumsätze zu reduzieren. So fällt das Vorsteuerabzugsverbot weniger ins Gewicht. Aufgrund der häufigen Praxis dieses Modells wird deutlich, wie schwerwiegend die Auswirkungen des Urteils des EuGHs sein können.
Unsere Einschätzung
Einerseits ist die umsatzsteuerliche Organschaft als Vereinfachungsmaßnahme gedacht. Sie soll den Bürokratieaufwand für die Finanzverwaltung reduzieren. Andererseits wird sie als Modell seitens der Unternehmer genutzt, um Steuerbelastungen zu reduzieren. Die umsatzsteuerliche Organschaft löst immer wieder Diskussionen aus. Darf man Steuerausfälle in Kauf nehmen, um der Vereinfachung willen? Wird bald ein weit verbreitetes Gestaltungsmodell in der Praxis verschwinden? Es werden gerade viele Fragen gestellt, Ungewissheit liegt in der Luft. Und wieder einmal ist es der EuGH, der eine folgenreiche Entscheidung treffen und für Rechtssicherheit sorgen muss. Welche Bedeutung die umsatzsteuerliche Organschaft in Zukunft haben wird, bleibt abzuwarten.