22. Juli 2024
Umsatzsteuerliche Organschaft: EuGH bestätigt Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen
Inhaltsverzeichnis
- Was ist eine umsatzsteuerliche Organschaft?
- Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen: BFH hinterfragte Regelung im Anwendungserlass
- Verfahren vor dem EuGH: Sind Innenumsätze innerhalb eines Organkreises steuerbar?
- EuGH-Urteil: Innenumsätze bleiben nicht umsatzsteuerbar
- Unsere Einschätzung: EuGH beseitigt Rechtsunsicherheit
Der BFH hatte dem EuGH mit Beschluss vom 26.01.2023 diverse Fragen bezüglich des strittigen Falles V R 20/22 (V R 40/19) vorgelegt. Die Fragen drehten sich um die umsatzsteuerliche Organschaft, welche hierdurch einmal mehr in den Mittelpunkt der steuerrechtlichen Diskussion rückte. In der Vergangenheit gab es schon einige Urteile des EuGHs zu diesem Thema.
Der EuGH hat die wiederauflebenden Zweifel hinsichtlich der Frage, ob gegen Entgelt erbrachte Leistungen zwischen Personen, die einer Mehrwertsteuergruppe (Umsatzsteuerliche Organschaft) angehören (sogenannte „Innenumsätze der Mehrwertsteuer“) unter die Mehrwertsteuer fallen, mit Urteil vom 11.07.2024 – Rs. C-184/23 (Finanzamt T gegen S) beseitigt. Der EuGH hat – zur Beruhigung vieler Steuerpflichtiger – nun entschieden, dass Innenleistungen innerhalb einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft selbst dann nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, wenn die vom Empfänger dieser Leistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf.
Was ist eine umsatzsteuerliche Organschaft?
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG liegt eine umsatzsteuerliche Organschaft vor, wenn eine juristische Person in wirtschaftlicher, finanzieller und organisatorischer Hinsicht in ein anderes Unternehmen eingegliedert ist. Sobald alle drei Kriterien zutreffen, erfolgt eine automatische Bildung der umsatzsteuerlichen Organschaft. Dabei ist es irrelevant, ob jene Bildung durch die Beteiligten gewünscht ist oder nicht. In dem entstandenen Konstrukt stellt das eingegliederte Unternehmen die Organgesellschaft dar. Das Unternehmen, in welches die Organgesellschaft eingegliedert wird, nennt sich Organträger. Beide Parteien zusammen bilden den sogenannten umsatzsteuerlichen Organkreis. Innerhalb dieses Organkreises ist der Organträger als Unternehmer und die Organgesellschaft als unselbstständiger Teil des Gesamtunternehmens anzusehen (Abschn. 2.8 Abs. 1 S. 6 UStAE). Die Wirkungen der Organschaft sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt (vgl. Abschn. 2.9 Abs. 1 Satz 1 UStAE).
Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen: BFH hinterfragte Regelung im Anwendungserlass
Zum einen wird durch diese Regelung u. a. der Bürokratieaufwand seitens der Steuerverwaltung verringert, da nur der Organträger als einziger Steuerpflichtiger des Organkreises Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen abgeben muss, in welcher die Umsätze der Organgesellschaft konsolidiert werden; zum anderen werden Leistungen , welche zwischen den Parteien innerhalb des Organkreises ausgetauscht werden, als nicht umsatzsteuerbare Innenumsätze und somit nicht umsatzsteuerpflichtig behandelt, da die unternehmerische Selbstständigkeit der Organgesellschaften als Teil des Gesamtunternehmens fehlt.
Die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze machten sich viele Unternehmer, welche nicht oder teilweise nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind (z. B. Pflegeheime oder Krankenhäuser), zunutze und bildeten gezielt umsatzsteuerliche Organschaften, um innerhalb des Organkreises von nicht umsatzsteuerbaren und somit auch nicht umsatzsteuerpflichtigen Umsatzgeschäften zu profitieren, wodurch die Belastung mit Umsatzsteuer durch die in diesem Falle gar nicht erst entstehende Umsatzsteuer verringert wurde. Doch dieses bisher in der Praxis weit verbreitete Modell wurde durch die Vorlagefragen des BFH auf eine harte Probe gestellt, sodass viele Unternehmer zittern mussten.
Verfahren vor dem EuGH: Sind Innenumsätze innerhalb eines Organkreises steuerbar?
Das EuGH-Verfahren betraf eine Stiftung des öffentlichen Rechts (Stiftung), welche Trägerin einer Universität ist, die auch einen Bereich Universitätsmedizin unterhält und Organträgerin einer Tochtergesellschaft (GmbH) ist. Die GmbH erbrachte u.a. Reinigungsdienstleistungen an die Stiftung. Die Stiftung übte mit der Ausbildung von Studierenden eine nicht umsatzsteuerbare hoheitliche Tätigkeit aus, aber tätigte auch umsatzsteuerpflichtige Ausgangsumsätze. Die Stiftung war somit nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt. Die GmbH erbrachte in dem betreffenden Besteuerungszeitraum u.a. Reinigungsdienstleistungen einerseits an den unternehmerischen und andererseits an den nicht-unternehmerischen Bereich der Stiftung. Nach Meinung des Finanzamtes stellten die Reinigungsdienstleistungen, welche in den unternehmerischen Bereich der Stiftung erbracht wurden, unstreitig nichtsteuerbare Innenumsätze dar, da diese innerhalb des Organkreises erfolgten. Strittig war, ob die Leistungen für den nicht-unternehmerischen Bereich der Stiftung als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterliegen.
Der BFH hatte dem EuGH die Frage gestellt, ob Innenumsätze innerhalb eines Organkreises generell nicht umsatzsteuerbar sind, oder ob diese zumindest dann steuerbar sind, wenn der Leistungsempfänger nicht oder teilweise nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da sonst die Gefahr von Steuerausfällen drohe. Laut BFH waren Indikationen für eine Steuerbarkeit dieser Innenumsätze, vor allem im Hinblick auf bisherige Urteile des EuGHs gegeben und das nationale Recht dementsprechend eventuell neu auszulegen. Diese Frage brachte eine erhebliche Brisanz mit.
EuGH-Urteil: Innenumsätze bleiben nicht umsatzsteuerbar
Der EuGH folgte mit seinem Urteil den Schlussanträgen des Generalanwalts und betätigte die herrschende Auffassung, dass gegen Entgelt erbrachte Leistungen zwischen Personen, die ein und derselben Mehrwertsteuergruppe angehören, die aus rechtlich selbständigen, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbundenen Personen besteht und von einem Mitgliedstaat als einzige Steuerpflichtige bestimmt wird, selbst dann nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, wenn die vom Empfänger dieser Leistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf.
Unsere Einschätzung: EuGH beseitigt Rechtsunsicherheit
Die Entscheidung des EuGHs bezüglich der am 26.01.2023 vorgelegten Frage über die Steuerbarkeit von Innenumsätzen war mit Spannung verfolgt worden. Wenn Innenumsätze tatsächlich als umsatzsteuerbar erachtet worden wären, hätte dies das System der umsatzsteuerlichen Organschaft, wie man es bisher in Deutschland kannte, komplett umgekrempelt. Viele Unternehmer hätten umdenken müssen. Falls die Leistungen innerhalb eines Organkreises Umsatzsteuer ausgelöst hätten, wäre es zu einer Belastung für nicht vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen, wie z. B. Krankenhäuser oder Pflegeheime, durch die Umsatzsteuer gekommen. Es ist kein Geheimnis, dass der Hauptgrund in der bewussten Begründung einer umsatzsteuerlichen Organschaft für Unternehmen, die nicht vorsteuerabzugsberechtigt sind, darin besteht, die Umsatzsteuerbelastung durch die nicht steuerbaren Innenumsätze zu reduzieren. So fällt das Vorsteuerabzugsverbot weniger ins Gewicht der Unternehmungen. Durch das Urteil des EuGH ist nunmehr geklärt, dass es keine unentgeltlichen Wertabgaben an den nicht-unternehmerischen Bereich innerhalb eines umsatzsteuerlichen Organkreises gibt.
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