10. Mai 2023
Ist eine Verrechnung von ausländischen Betriebsstättenverlusten möglich?
Inhaltsverzeichnis
Der Bundesfinanzhof (BFH) versagte einer Aktiengesellschaft aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens die Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Betriebsstätte. Da stellt sich die Frage, ob das gegen die EU-Niederlassungsfreiheit verstößt. Die Antwort finden Sie hier.
Was ist der Hintergrund des Falles?
2004 eröffnete eine in Deutschland ansässige AG eine Zweigniederlassung in Großbritannien und betrieb dort Aktienanalyse und Wertpapierhandel. Die Zweigstelle schloss 2007 jedoch wieder, weil sie durchgehend Verluste erzielte. Daher konnten die Verluste in Großbritannien weder weiter vorgetragen noch mit anderen Einkünften verrechnet werden. Darum machte die AG die Verluste in Deutschland steuerlich geltend. Das Finanzamt ließ das nicht zu und verwehrte den Verlustabzug in den Körperschafts- und Gewerbesteuerfestsetzungen. Die AG erhob erst Einspruch und später Klage gegen die Entscheidung. Nachdem das Finanzgericht der Klage stattgegeben hatte, ging das Finanzamt in Revision. Der BFH legte die Rechtssache erst dem EuGH vor, der den Abzug der Verluste verneinte, und entschied dann zugunsten des Finanzamtes.
Verrechnung von finalen Betriebsstättenverlusten
Dass Rechtsfragen in ähnlich gelagerten Sachverhalten zur Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt werden, ist nicht unüblich: Zu den Grundfreiheiten der EU zählt ebenfalls die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV. Die Mitgliedstaaten dürfen diese somit sowohl für Bürger:innen, aber auch Firmen durch ihre Gesetzgebung nicht einschränken. Durch die Verwehrung der Verrechnung von finalen Verlusten aus einem EU-Mitgliedsland mit dem Gewinnen aus einem anderen Mitgliedstaat, könnte diese Freiheit jedoch beschränkt werden, da die ausländische Betriebsstätte faktisch somit nicht mehr mit einer Betriebsstätte im Inland gleichgestellt ist.
Die Rechtsprechung des EuGH war in den vergangenen Jahren zu diesem Thema jedoch nicht eindeutig. In früheren Entscheidungen hatte der BFH noch geurteilt, dass eine vollständige Ausgrenzung der Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. 2015 urteilte der BFH in einem Fall entgegengesetzt. Er versagte die Verlustverrechnung, da man die Verrechnung von nationalen und grenzüberschreitenden Verlusten nicht vergleichen könne. Im nationalen Fall sei die Verrechnung unilateral und im grenzüberschreitenden Fall durch ein Doppelbesteuerungsabkommen ausgeschlossen.
Eine Kehrtwende gab es im Urteil vom 12.06.2018: Der EuGH kehrte im Fall Bevola und Jens W. Trock zu seiner ursprünglichen Auffassung zurück. Er bejaht die Verrechnung, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Verlustnutzung im Land der ausländischen Zweigstelle ausgeschöpft sind.
Was hat der EuGH entschieden?
Auch diesen Fall legte der BFH dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Nach dem Urteil des EuGH vom 22.09.2022 lag kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vor: Deutschland verzichtete aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens auf jede Steuerbefugnis der Betriebsstätteneinkünfte. Deshalb lag die Besteuerung sowohl der Gewinne als auch Verluste in der Hand des Staates der Niederlassung. Da daher sowohl sämtliche Einkünfte im Betriebsstättenstaat zu versteuern waren und das deutsche Besteuerungsrecht so vollständig ausgeschlossen wurde, stellt der Ausschluss der Verlustberücksichtigung nach der Ansicht des EuGH auch keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit dar. Diese Entscheidung übernahm der BFH am 22.02.2023 (Az. I R 35/22; I R 32/18).
Unsere Einschätzung
Der EuGH kehrt mit dieser Entscheidung zu seiner vorhergehenden Rechtsprechung zurück und sieht die Verwehrung einer Verrechnung von Einkünften aus einer Betriebsstätte aufgrund der entsprechenden Regelungen eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit an. Das bedeutet jedoch nicht , dass in Zukunft die Verrechnung von sämtlichen Verlusten verwehrt werden kann. Geht die fehlende Verlustrechnung auf eine nationale, unilaterale Regelung zurück, dürfte dies weiterhin einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen. Was passiert, wenn das Doppelbesteuerungsabkommen selbst die Steuern auf die Gewinne der ausländischen Zweigstelle erhebt, bleibt jedoch unklar.