20. September 2023
Pflichtverletzung: Zustimmungserfordernisse der Hauptversammlung bei Vergleichen
Inhaltsverzeichnis
Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Pflichtverletzungen im Rahmen ihrer Organstellung ist ein wichtiges Thema des Gesellschaftsrechts. Wann Vorstandsmitglieder oder Arbeitnehmer:innen haften und welche Vorteile und Risiken ein Vergleich mit sich bringt, erfahren Sie hier.
Wie haften Vorstandsmitglieder einer AG für Pflichtverletzungen?
Die Gesellschaft kann von einem Vorstandsmitglied Schadensersatz verlangen, wenn es seine Sorgfaltspflichten verletzt hat. Die Haftungsansprüche können auch durch Vergleich oder Verzicht erledigt werden. Ein solcher Vergleich bedarf jedoch nach § 93 Abs. 4 Satz 3 Aktiengesetz (AktG) der Zustimmung der Hauptversammlung, wenn er innerhalb von drei Jahren seit der Entstehung des Anspruchs geschlossen wird. Diese Vorschrift soll die Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre schützen und eine unangemessene Begünstigung des Vorstandsmitglieds verhindern.
Die Haftung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft ist in § 93 AktG geregelt. Diese Vorschrift enthält die Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten der Vorstandsmitglieder sowie die Voraussetzungen für eine Haftung gegenüber der Gesellschaft. Die Haftung kann sich sowohl aus Vertrag als auch aus unerlaubter Handlung ergeben.
Die Sorgfaltspflichten der Vorstandsmitglieder ergeben sich aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG. Danach haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Dies bedeutet, dass sie
- das Unternehmensinteresse zu wahren,
- die gesetzlichen und satzungsmäßigen Bestimmungen zu beachten,
- die notwendigen Informationen einzuholen und zu bewerten,
- Risiken abzuschätzen
- und sachgerechte Entscheidungen zu treffen haben.
Die Sorgfaltspflichten werden nicht schematisch, sondern nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt. Die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder ergibt sich aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. Danach sind die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der durch eine schuldhafte Pflichtverletzung entsteht.
Die Gesellschaft kann unter bestimmten Voraussetzungen auf die Geltendmachung von Haftungsansprüchen verzichten oder diese durch einen Vergleich beilegen. Dies bedarf jedoch nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG der Zustimmung der Hauptversammlung, wenn der Vergleich oder der Verzicht innerhalb von drei Jahren nach Entstehung des Anspruchs geschlossen wird. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass die Gesellschaft auf ihre Ansprüche verzichtet oder diese zu niedrig bewertet, ohne dass die Aktionäre darüber entscheiden können.
Pflichverletzug: Was bedeutet gesamtschuldnerische Haftung von Arbeitnehmer:in und Vorstandsmitglied?
Eine besondere Konstellation ergibt sich, wenn neben dem Vorstandsmitglied auch ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin der Gesellschaft für denselben Schaden haftet. Dies kann der Fall sein, wenn ein Arbeitnehmer dem Vorstandsmitglied bei der Pflichtverletzung geholfen oder sie ermöglicht hat. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob auch der Vergleich mit dem Arbeitnehmer der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf.
Die Rechtsprechung hat dies bejaht, wenn der Vergleich mit dem Arbeitnehmer eine Gesamtwirkung für alle Gesamtschuldner entfaltet, also auch das Vorstandsmitglied von seiner Haftung befreit. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer nicht nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs haftungsprivilegiert ist. Denn dann liegt kein gestörtes Gesamtschuldverhältnis vor, welches eine Gesamtwirkung des Vergleichs nach § 423 BGB ausschließen würde.
Grund für das Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung ist, dass ein Vergleich mit der Gesamtwirkung einer Abtretung oder einem Verzicht auf den Anspruch gegen das Vorstandsmitglied gleichkommt. Damit würde die gesetzliche Regelung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG umgangen, die gerade eine solche Abtretung oder einen solchen Verzicht von der Zustimmung der Hauptversammlung abhängig macht.
Es zeigt sich also, dass ein Vergleich mit einem Arbeitnehmer bei gesamtschuldnerischer Haftung mit einem Vorstandsmitglied nicht ohne Weiteres möglich ist und dass in jedem Fall die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich ist, wenn der Vergleich eine Gesamtwirkung haben soll. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Vergleich unwirksam ist oder angefochten werden kann.
Unsere Einschätzung
Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Pflichtverletzungen ist ein komplexes und sensibles Thema, das sowohl die Gesellschaft als auch die Aktionäre betrifft.
Die letzte Konstellation kann man leicht übersehen, kann aber weitreichende Folgen haben. Ein Vergleich ohne Zustimmung der Hauptversammlung wäre unwirksam und könnte von einem Aktionär angefochten werden. Dies würde die Rechtssicherheit und das Vertrauen in die Unternehmensführung beeinträchtigen. Unser Rat: Machen Sie sich des zusätzlichen Zustimmungserfordernisses der Hauptversammlung in dieser speziellen Fallgruppe bewusst und berücksichtigen Sie dies bei der Gestaltung eines Vergleichs.
Wir beraten Sie gerne bei allen Fragen rund um Organhaftung im Gesellschaftsrecht und allen weiteren wirtschaftsrechtlichen Rechtsfragen. Sprechen Sie uns gerne an.