Wachstumschancengesetz – Neue Chancen für die Thesaurierungsbegünstigung?
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23. Oktober 2023

Wachstumschancengesetz – Neue Chancen für die Thesaurierungsbegünstigung?

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Der Regierungsentwurf zum Wachstumschancengesetz sieht Anpassungen bei der Thesaurierungsbegünstigung für Personenunternehmen vor. Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a Einkommensteuergesetz (EStG) existiert in seiner derzeitigen Form seit 2008. Seitdem wird sie aufgrund ihrer Komplexität und faktischen Nicht-Anwendbarkeit für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) kritisiert. Was Sie hierzu wissen sollten, erfahren Sie hier.

Thesaurierung: Neue Definition des nicht entnommenen Gewinns

Einer der vielen Kritikpunkte an der bisherigen Regelung ist, dass eine vollständige Thesaurierung des steuerpflichtigen Gewinns nahezu ausgeschlossen ist. Denn einerseits müssen Entnahmen aus dem Gewinn zur Begleichung der anfallenden Einkommensteuer getätigt werden. Andererseits sind nicht abzugsfähige Betriebsausgaben bislang von der Thesaurierungsbegünstigung vollständig ausgenommen. Die Definition des nicht entnommenen Gewinns knüpft nämlich am Steuerbilanzgewinn an.

Mit dem neu gefassten Absatz 2 sollen beide Probleme behoben werden:

34a Abs. 2 EStG i.d.F. Wachstumschancengesetz

„Der nicht entnommene Gewinn des Betriebs oder Mitunternehmeranteils ist der nach § 4 Absatz 1 Satz 1 oder § 5 ermittelte Gewinn vermindert um den positiven Saldo der Entnahmen und Einlagen des Wirtschaftsjahres vermehrt um die Gewerbesteuer des Wirtschaftsjahres. Entnahmen für die Zahlung der Einkommensteuer nach Absatz 1 Satz 1 und des darauf entfallenden Solidaritätszuschlages bleiben außer Ansatz. Entnahmen gelten vorrangig bis zur Höhe der Einkommensteuer im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 und des darauf entfallenden Solidaritätszuschlags als zur Zahlung dieser Beträge verwendet.

Unternehmer:innen stehen dadurch ein erhöhtes Thesaurierungspotenzial zur Verfügung. Da die Thesaurierungsbegünstigung bei Vorliegen aller Voraussetzungen wahlweise zwischen 0 Euro und dem „nicht entnommenen Gewinn“ beantragt werden kann, wirkt diese geplante Änderung ausschließlich positiv. Es entsteht kein Zwang zu einer erhöhten Thesaurierungsbegünstigung:

Beispiel 1:

Der auf die Mitunternehmerin A entfallende Steuerbilanzgewinn des Geschäftsjahres beträgt 170.000 Euro. Darin enthalten ist ein anteiliger Gewerbesteueraufwand laut Gewinn-und-Verlustrechnung (GuV) von 30.000 Euro. Unter anderem für die Zahlung der Einkommensteuer hat A im Jahr 70.000 Euro entnommen.

Nach der bisherigen Rechtslage beträgt der nicht entnommene Gewinn:

 

          170.000            ./.       70.000                       =   100.000 Euro
Steuerbilanzgewinn   Entnahme inkl. ESt               

        

Der Antrag auf Thesaurierungsbegünstigung ist für höchstens 100.000 Euro möglich, obwohl der zuzurechnende steuerliche Gewinn, vorbehaltlich anderer nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben, mindestens 200.000 Euro beträgt.

Sollte die Anpassung von Absatz 2 den formellen Gesetzgebungsprozess überstehen, wäre bei gleichem Sachverhalt eine deutlich höhere Thesaurierungsbegünstigung möglich:

 

          200.000             ./.                         15.000                              =   185.000 Euro
Steuerbilanzgewinn                    Entnahme vermindert                
vermehrt um GewSt          um Steuer nach § 34a Abs. 1 Satz 1      

 

Zum einen wird die Ausgangsgröße Steuerbilanzgewinn um die nicht abzugsfähige Gewerbesteuer erhöht. Zum anderen werden die Entnahmen in schädliche und unschädliche Entnahmen aufgeteilt. Zur Vereinfachung wird fingiert, dass alle Entnahmen bis zur Höhe der Steuer nach § 34a Abs. 1 Satz 1 EStG zur Begleichung dieser erfolgt und damit unschädlich sind.

Damit erhöht sich zwar das Begünstigungspotenzial deutlich, allerdings steigt der bürokratische Aufwand. Ein Mangel an dem die Vorschrift von Anfang an leidet.

Keine allgemeine Einbeziehung außerbilanzieller Korrekturen bei der Thesaurierung

Nach dem Wortlaut des Entwurfs und der Regierungsbegründung soll explizit nur für die Gewerbesteuer eine Berücksichtigung im Thesaurierungspotenzial erfolgen und nicht für sonstige außerbilanzielle Korrekturen. Sie stellen im Gegensatz zur Gewerbesteuer keine öffentliche Abgabe dar, der sich Unternehmer:innen nicht entziehen können. Dies lässt aus Sicht des Gesetzgebers eine unterschiedliche Beurteilung gegenüber anderen dem Grunde oder der Höhe nach nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben zu.

Ausschluss von Zinsvorteilen aus nachträglich gestellten Anträgen

Gelegentlich stellten Unternehmer:innen den Antrag auf § 34a EStG auch erst im Anschluss an Betriebsprüfungen. Die dadurch verringerten Steuerlasten führten zu erheblichen Einkommensteuererstattungen einschließlich Erstattungszinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) in Höhe von sechs Prozent jährlich.

Mit dem geplanten § 34a Abs. 1 Satz 3 EStG in der Folge des Entwurfs eines Wachstumschancengesetzes wird die Zinsregel für rückwirkende Ereignisse auf den Antrag zur Thesaurierungsbegünstigung bezogen: 

„§ 233a Absatz 2a der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.“ 

Somit beginnt der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Antrag auf Thesaurierungsbegünstigung gestellt wird.

Dieser Änderung bedarf es nach unserer Einschätzung nicht mehr, da die Erstattungszinsen nach § 233a AO mit 1,8 Prozent jährlich mittlerweile deutlich hinter dem Marktzinsniveau zurückbleiben.

Kein nachversteuerungsfreier Betrag

Im Referentenentwurf war eine lange geforderte Anpassung in Form der zusätzlichen Feststellung des nachversteuerungsfreien Betrages vorgesehen. Diese wurde auch in sämtlichen Stellungnahmen der Kammern und Verbände positiv beurteilt. Dennoch findet sie sich nur noch in Form eines redaktionellen Fehlers im aktuellen Entwurf wieder.

Angedacht war eine zusätzliche jährliche Feststellung, in welchem Umfang sich nachversteuerungsfreies Volumen aus dem jeweiligen Geschäftsjahr ergeben hat. Damit sind Gewinne gemeint, die nicht entnommen wurden, für die aber auch kein Antrag auf Thesaurierungsbegünstigung gestellt wurde. Diese können bislang nur im laufenden Geschäftsjahr ohne Einfluss auf die Begünstigung entnommen werden. In nachfolgenden Geschäftsjahren gelten Entnahmen als zunächst aus dem laufenden Gewinn und dann aus dem nachversteuerungspflichtigen Volumen getätigt. Erst nachrangig zum nachversteuerungspflichtigen Betrag werden vollversteuerte Gewinne aus Vorjahren bedient.

Beispiel 2:

Mitunternehmer B wird im Geschäftsjahr ein Steuerbilanzgewinn von 200.000 Euro zugewiesen, den er vollständig thesauriert. Aufgrund von Verlusten aus anderen Einkunftsarten entschließt er sich nur für 80.000 Euro einen Antrag auf Thesaurierungsbegünstigung zu stellen. Die übrigen 120.000 Euro werden regulär besteuert.

Entnimmt B die übrigen 120.000 Euro im Folgejahr in sein Privatvermögen, wird dieser Betrag dem Gewinn und den Einlagen des Folgejahres gegenübergestellt. Sofern diese überstiegen werden, tritt unmittelbar der Nachversteuerungsfall für die begünstigten 80.000 Euro ein, obwohl die entnommenen Beträge bereits regulär besteuert wurden.

Die Einführung des nachversteuerungsfreien Betrages (hier 120.000 Euro für das laufende Geschäftsjahr) hätte hier Abhilfe geschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass in den Beratungen des Finanzausschusses der Ansatz aus dem Referentenentwurf nochmals aufgegriffen wird.

Zum Gesprächsthema wird es sicherlich, da bei Streichung der Passagen ein Zusatz in Absatz 11 des Entwurfs übersehen wurde, in dem auf den nachversteuerungsfreien Betrag rekurriert wird. Hier besteht also zumindest redaktioneller Anpassungsbedarf.

Neue quotale Nachversteuerung bei Übertragung von Teilbetrieben und Teil-Mitunternehmeranteilen

Beachtet man die vorherrschende Kritik, dass § 34a EStG sich in zu viel Bürokratie verliert, um ein Modell für die breite Anwendung zu werden, verwundert es, dass der Gesetzgeber als Maßnahme die Einführung einer Reihe weiterer Nachversteuerungstatbestände für geeignet erachtet.

Der Absatz 6 wird in der Entwurfsfassung um Fälle erweitert in denen

  • Mitunternehmer:innen entgeltlich oder unentgeltlich in ein Einzelunternehmen aufgenommen,
  • Teile eines Mitunternehmeranteils veräußert, unentgeltlich übertragen oder in eine Kapitalgesellschaft eingebracht oder
  • Teilbetriebe unentgeltlich übertragen oder in eine Kapitalgesellschaft eingebracht werden

Die quotale Nachversteuerung soll durch Verweis auf den neuen Absatz 7 Satz 3 nach Maßgabe des Verhältnisses des gesamten Kapitalkontos zum veräußerten und übertragenen Teil des Kapitals erfolgen. Bei den Fällen der unentgeltlichen Übertragung soll es dagegen nach dem Entwurf von Absatz 7 zu einem anteiligen Übergang des nachversteuerungspflichtigen Betrages auf die Erwerber:innen kommen.

Beispiel 3:

Mitunternehmerin C verkauft einen Teil Ihres Anteils an der Mitunternehmerschaft an D. Ihr gesamtes Kapitalkonto vor der Übertragung betrug 300.000 Euro. Davon sind 100.000 euro an D mitverkauft.

Nach der bisherigen Rechtslage hätte der Vorgang keinen Einfluss auf ein etwaiges nachversteuerungspflichtiges Volumen bei C.

Nach der Rechtslage des Entwurfs wird die Nachversteuerung im Umfang von 1/3 des nachversteuerungspflichtigen Volumens durchgeführt.

Würde C dagegen den entsprechenden Anteil unentgeltlich auf D übertragen, geht zukünftig 1/3 des nachversteuerungspflichtigen Volumens auf D über.

„Reform“ der Thesaurierungsbegünstigung: Verpasste Chancen

Die Vorschrift zur Thesaurierungsbegünstigung hat in der Praxis Schwierigkeiten einen relevanten Anwendungsbereich zu finden. Dabei wäre eine Schaffung von Anreizen zur Eigenkapitalbildung und Liquiditätssteigerung in Unternehmen gerade jetzt wichtig. Die Pandemie, die Energiekostenkrise, Lieferengpässe und politischen Konflikte der vergangenen Jahre haben gezeigt, wie schnell Unternehmen ohne ausreichende Rücklagen in existentielle Bedrohung geraten können.

Hier wird das Wachstumschancengesetz seinem Titel nicht gerecht. Die Änderungen verbessern die Vorschrift zwar hinsichtlich der Höhe der möglichen Thesaurierung. Im Übrigen wird aber der bürokratische Aufwand sogar noch erhöht und der „große Wurf“ bleibt aus.

Jetzt wäre die Zeit, um mit gut durchdachten Anpassungen eine stärkere Rücklagenbildung in Personenunternehmen zu fördern. In Betracht kämen naheliegende Maßnahmen die zum Teil seit Jahren auch aus Expertenkreisen gefordert werden:

  • Ein fließender Übergang in die Körperschaftsteuer etwa unter Verknüpfung mit dem Optionsmodell nach § 1a KStG,
  • die Ermöglichung von Verlustverrechnungen mit thesauriertem Volumen in Folgejahren,
  • die Überarbeitung der Verwendungsreihenfolge und
  • dem Wegfall der Nachversteuerung in Totalverlustfällen / Insolvenz.

Dadurch könnten Unternehmen im Eigenkapitalaufbau unterstützt werden, ohne nachhaltig auf Steuervolumen zu verzichten. Denn nach Durchführung der Nachversteuerung werden Unternehmer:innen regelmäßig mehr Steuer zahlen, als bei sofortiger Versteuerung am Anfang.

Optionsmodell nach § 1a KStG als Alternative für die Thesaurierung

Mit der Einführung des Optionsmodells nach § 1a Körperschaftsteuergesetz (KStG) hat man den Personenhandelsgesellschaften die Möglichkeit eröffnet, sich für die Besteuerungssystematik der Kapitalgesellschaften zu entscheiden und damit vollständig gleichzustellen.

Zwar gibt es durchaus gute außersteuerliche Gründe, sich für das Optionsmodell statt eines echten Formwechsels zu entscheiden. Jedoch bleiben die Nachbesserungen am Optionsmodell im Entwurf des Wachstumschancengesetzes ohne große Durchschlagskraft. In vielen Fällen bestehen weiterhin keine wirklich überzeugenden steuerlichen Argumente für das Optionsmodell.

Letztlich scheitert das Optionsmodell als echte Alternative zu § 34a EStG unter anderem auch an seiner kollektiven Auswirkung. Während § 34a EStG von Mitunternehmer:innen individuell beantragt werden kann, wirkt das Optionsmodell stets für die gesamte Gesellschaft. Mögliche Umgehungen erfordern eine aufwändige Gesellschaftsstruktur und lösen dadurch weitere laufende Kosten aus, die die Effekte aufzehren können.

Darum jetzt trotzdem zu Thesaurierungsmodellen beraten

Das gestiegene Zinsniveau führt mit einem neuen 20-Jahres-Hoch zu einer deutlichen Steigerung der Attraktivität von Steuerstundungseffekten. Sowohl § 34a EStG als auch § 1a KStG ermöglichen eine zinsfreie Steuerstundung. Kann mit dem gestundeten Volumen in der Zwischenzeit risikoarm und rentabel gearbeitet werden, lohnen sich der erhöhte bürokratische Aufwand und der Steuersatzaufschlag.

Unsere Einschätzung

Bereits in unserem vorherigen Beitrag zur Thesaurierungsbesteuerung resümierten wir „Der Aufgriff der Thesaurierungsbegünstigung im Koalitionsvertrag mit dem Ansatz, diese zu ‘evaluieren und prüfen, inwiefern praxistaugliche Anpassungen erforderlich sind’, wird jedoch voraussichtlich nicht zu einem vielversprechenden Ergebnis führen.“

Leider scheint sich diese Prognose zu bewahrheiten. Aber während der Leitzins der EZB damals noch im Langzeitschlaf bei 0 Prozent stand, ist dieser zuletzt auf 4,5 Prozent gestiegen. Auch wenn es die Vorschrift nicht unbürokratischer oder anwenderfreundlicher macht, wird sie dadurch doch erheblich attraktiver. In Kombination mit der zu erwartenden Anpassung zu unschädlichen Entnahmen und der Berücksichtigung des bilanziellen Gewerbesteueraufwands, wird der Anwendungsbereich auch auf KMUs erweitert. In jedem Fall lohnt sich eine genaue Analyse aller in Frage kommender Thesaurierungsmodelle für alle Unternehmen.

Bei weiteren Fragen stehen Ihnen unsere Expertinnen und Experten jederzeit zur Verfügung.

Michael Simon

Partner, Steuerberater, Diplom-Finanzwirt

Maxim Hauch

Partner, Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt, zertifizierter Berater für Immobilienbesteuerung, zertifizierter Berater für Kauf und Verkauf von Unternehmen / M&A

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