Wegzugsbesteuerung Schweiz: Steuerfrei trotz Umzug?
©Valerii Evlakhov / Adobe Stock

9. September 2025

Wegzugsbesteuerung Schweiz: Steuerfrei trotz Umzug?

Kategorien: Unkategorisiert

Die Verlegung des Wohnsitzes von Deutschland in die Schweiz kann steuerliche Folgen haben. Es greift die sogenannte Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 Außensteuergesetz (AStG).  Sie wird auch dann ausgelöst, wenn die Anteile an einer Kapitalgesellschaft gar nicht verkauft werden. Der Grund: Durch die Wohnsitzverlagerung ins Ausland verliert Deutschland das Recht, einen späteren Veräußerungsgewinn aus diesen Anteilen zu besteuern.  Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ermöglicht gemäß eines neuen Schreibens, dass bei Umzügen in die Schweiz nach der bis zum 01.01.2022 geltenden Rechtslage die Wegzugsteuer zunächst gestundet werden kann. 

Was ist die Wegzugsbesteuerung und was ist ihr Zweck?  

Die Wegzugsbesteuerung greift, wenn natürliche Personen mit einer wesentlichen Beteiligung (mindestens 1 % an einer Kapitalgesellschaft) ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen. Steuerrechtlich wird dann eine fiktive Veräußerung der Anteile unterstellt und ein sogenannter fiktiver Veräußerungsgewinn entsteht, der sofort versteuert werden muss. Das Ziel: Wertzuwächse, die in Deutschland entstanden sind, sollen nicht steuerfrei ins Ausland verlagert werden.  

Der Fall Wächtler: Warum ist die Schweiz ein Sonderfall?  

Das Freizügigkeitsabkommen EU–Schweiz (FZA) schützt das Recht auf Niederlassung und Gleichbehandlung.  Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied 2019 im Fall Wächtler (C-581/17): Eine sofortige Versteuerung der stillen Reserven in Gesellschaftsanteilen beim Wegzug in die Schweiz verstößt gegen diese Abkommen.   

Die Argumentation des EuGH: Es entsteht eine Ungleichbehandlung mit Liquiditätsnachteil gegenüber in Deutschland verbleibenden Steuerpflichtigen – ein klarer Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. § 6 AStG verstößt gegen diese Niederlassungsfreiheit, da die Vorschrift den Wegzug innerhalb der EU und auch den in die Schweiz erschwert oder bei entsprechender Steuerlast sogar verhindert.   

Zwei wichtige Neuerungen: Wie der BFH die Entscheidung des EuGH umsetzte  

In einem Folgeurteil vom 6. September 2023 (I R 35/20) übertrug der Bundesfinanzhof (BFH) diese Sichtweise. Danach wird die Wegzugssteuer weiterhin im Steuerfestsetzungsverfahren ermittelt und festgesetzt, muss nun jedoch unter den Bedingungen des FZA im Steuererhebungsverfahren dauerhaft und zinslos gestundet werden – unabhängig davon, ob sie bereits gezahlt wurde.  

Das bedeutet: Selbst wer die Wegzugssteuer bereits entrichtet hat, kann rückwirkend eine zinslose Stundung beantragen und erhält ggf. sogar eine verzinste Erstattung der entrichteten Steuer – sofern keine Zahlungsverjährung eingetreten ist.  

Dauerhafte, zinslose Stundung bei Wegzug in die Schweiz: Was sind die Voraussetzungen?  

Das neue BMF-Schreiben vom 2. Juni 2025 erlaubt die unbefristete und zinslose Stundung der Wegzugsteuer, wenn:  

  • der:die Steuerpflichtige Staatsangehörige:r eines EU-Staates oder der Schweiz ist,  
  • der Wegzug in die Schweiz vor dem 1. Januar 2022 erfolgte,  
  • in der Schweiz eine vergleichbare Steuerpflicht besteht,  
  • der Gleichbehandlungsgrundsatz des FZA greift (z.B. bei Arbeitsaufnahme oder Selbstständigkeit) 
  • und kein Widerrufsgrund eingetreten ist (unentgeltliche Übertragung durch Schenkung oder von Todes wegen).  

Wegzugssteuer: Was passiert bei Rückkehr oder weiteren Umzügen?  

Wird der:die Steuerpflichtige wieder unbeschränkt steuerpflichtig, kann die Steuerpflicht vollständig entfallen – allerdings nicht, wenn seit dem Wegzug mehr als 25% des Beteiligungswerts ausgeschüttet wurde oder andere schädliche Ereignisse eingetreten sind.  

Bei einem weiteren Umzug innerhalb der EU oder in die Schweiz gelten ähnliche Erleichterungen, solange der Gleichbehandlungsgrundsatz des FZA weiter Anwendung findet.  

Gibt es eine Mitwirkungsplicht und ist eine Sicherheitsleistung erforderlich?  

Die Stundung wird in der Regel nur gegen eine Sicherheitsleistung gewährt. Steuerpflichtige müssen jährlich unter Einhaltung von Fristen ihre Adresse mitteilen und bestätigen, dass sie die Anteile noch halten – sonst droht ein Widerruf der Stundung.  

Was bedeutet das für Gesellschafter:innen?  

Die Entscheidung bringt erhebliche Liquiditätsvorteile für Wegziehende: Anstatt sofortiger Steuerzahlungen kann die Steuer zinslos gestundet werden – oft über viele Jahre bis zur tatsächlichen Veräußerung. Das stärkt die Planungssicherheit für Unternehmer:innen, Startup-Gründer:innen und Gesellschafter:innen mit Umzugsplänen in die Schweiz.   

Mehr Freiheit beim Wegzug – aber auch Pflichten: Unsere Einschätzung  

Die Wegzugsbesteuerung bleibt bestehen, wird jedoch durch das EuGH-Urteil und das neue BMF-Schreiben deutlich entschärft – zumindest für Wegzüge in die Schweiz vor dem 1. Januar 2022.  Wer die Voraussetzungen erfüllt, kann von einer zinslosen und unbefristeten Steuerstundung profitieren.  

Ob, wann und in welcher Form diese Rechtsauffassung auch für Wegzüge nach dem 1. Januar 2022 – oder generell unabhängig vom Zeitpunkt des Wegzugs – in nationales Recht übernommen wird, bleibt abzuwarten.   

Wünschenswert wäre eine gesetzliche Klarstellung, die in allen betroffenen Fällen eine rechtssichere Anwendung ermöglicht. Daher sollten sich Steuerpflichtige professionell beraten lassen, um Stolperfallen zu vermeiden – etwa bei Ausschüttungen, Adressänderungen, Unternehmensnachfolge oder weiteren Umzügen.   

Sie haben Fragen zur Wegzugsbesteuerung? Unser Steuerberater Christian Kappelmann unterstützt Sie bei allen Ihren Anliegen. Nehmen Sie einfach Kontakt auf. 

 

Vermerk: Bitte beachten Sie, dass in diesem Dokument bei den durch Gesetze festgeschriebenen Begriffen auf das Gendern verzichtet wird, um die juristische Präzision und Klarheit zu wahren. In allen anderen Textteilen wird eine gendergerechte Sprache verwendet, um die Gleichstellung aller Geschlechter zu fördern. 

Expert:innen zu diesem Thema

Keine passenden Personen gefunden.

Das könnte Sie auch interessieren

  • Steuerliche Zinsen waren lange Zeit ein Nischenthema – doch seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit der Nachzahlungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) im Jahr 2021 geraten sie zunehmend in den Fokus, insbesondere aufgrund der seit 2009 beginnenden [...]

    Tino Wunderlich

    14. Juli 2025

  • Bei der Rückerstattung von Kapitalertragsteuer standen ausländische Anteilseigner:innen deutscher Kapitalgesellschaften lange vor einer Rechtsunsicherheit: Muss das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) neben der Steuererstattung auch Zinsen zahlen, wenn die Einbehaltung auf einer unionsrechtswidrigen Regelung beruht?   Mit Urteil vom 25. Februar 2025 [...]

    Christian Kappelmann

    06. Juni 2025

  • Das FG München hat klargestellt, dass verrechenbare und gewerbesteuerliche Verluste bei Anwachsung einer Personengesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft erhalten bleiben – unabhängig davon, ob der Gewerbebetrieb der Personengesellschaft anschließend identisch fortgeführt wird oder nicht. Was das für die Steueroptimierung bedeutet, [...]

    Julian Heesemann

    09. Dez. 2024