EuGH-Urteil: Keine Umsatzsteuerpflicht für Verwaltungsratsmitglieder
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22. Februar 2024

EuGH-Urteil: Keine Umsatzsteuerpflicht für Verwaltungsratsmitglieder

Kategorien: Steuerberatung

Inhaltsverzeichnis

Grundsätzlich muss jede:r Unternehmer:in, der/die selbstständig tätig ist und für seine/ihre Leistungen oder Lieferungen Geld erhält, Umsatzsteuer zahlen. Mit der Frage einer selbstständigen und wirtschaftlichen Tätigkeit eines Organs musste sich der EuGH bereits mehrfach befassen. Bisher betrafen die Entscheidungen jedoch nur Aufsichtsratsmitglieder und Geschäftsführer:innen.

Jüngst hat sich der EuGH (EuGH-Urteil vom 21.12.2023, C-288/22) mit der Frage befasst, ob die Tätigkeit eines luxemburgischen Verwaltungsratsmitglieds als unselbstständig und somit als nicht umsatzsteuerbar einzuordnen ist. Was Sie zu diesem Urteil wissen sollten, erfahren Sie hier.

EuGH-Urteil zur Umsatzsteuerpflicht von Verwaltungsratsmitgliedern: Hintergrund

Mit seinem Urteil hat der EuGH bezogen auf das Verwaltungsratsmitglied einer luxemburgischen AG nach luxemburgischen Recht zwei wichtige Feststellungen getroffen:

1)      Das Mitglied übt eine wirtschaftliche Tätigkeit aus, wenn es der AG seine Dienstleistungen gegen Entgelt erbringt, diese Tätigkeit einen nachhaltigen Charakter aufweist und gegen eine Vergütung erbracht wird, deren Festsetzungskonditionen vorhersehbar sind.

2)      Das Mitglied übt seine Tätigkeit nicht selbstständig aus, wenn es weder in eigener Verantwortung noch für eigene Rechnung handelt und das mit seiner Tätigkeit einhergehende wirtschaftliche Risiko nicht trägt. Das gilt auch dann, wenn das Mitglied die Ausführung seiner Arbeit frei gestaltet, im eigenen Namen handelt, das Entgelt, das sein Einkommen darstellt, selbst vereinnahmt und auch keinem hierarchischen Unterordnungsverhältnis unterliegt.

Die Person, um die es hier geht (TP) ist Mitglied eines Verwaltungsrates mehrerer Aktiengesellschaften nach luxemburgischen Recht. Der Verwaltungsrat ist ein Pflichtorgan. Die Tätigkeit von TP besteht insbesondere darin, Berichte von Führungskräften oder Vertreter:innen der betreffenden Gesellschaften entgegenzunehmen und strategische Vorschläge, Entscheidungen der operativen Führungskräfte, Probleme im Zusammenhang mit der Rechnungslegung dieser Gesellschaften und ihrer Tochtergesellschaften sowie die für sie bestehenden Risiken zu erörtern. Der Verwaltungsrat erarbeitet Vorschläge für die Aktionärsversammlung. Jedoch nimmt der Verwaltungsrat nicht an der Geschäftsführung der Gesellschaft teil. Vielmehr wird diese von einem Geschäftsführungsausschuss ausgeübt. Die Vergütung der Ratsmitglieder, bei der es sich entweder um eine pauschale Vergütung oder um eine Tantieme handelt, die vom Erfolg der Aktiengesellschaft abhängt, wird von der Hauptversammlung der Aktionär:innen beschlossen.

EuGH-Urteil zur Umsatzsteuerpflicht für Verwaltungsratsmitglieder: Rechtliche Einordnung

Fraglich ist indes, ob die Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglieds als selbstständig im Sinne von § 2 UStG eingestuft werden muss. Ist eine solche Selbstständigkeit zu bejahen, lebt der Tatbestand von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG auf und es kommt zu einer Umsatzsteuerpflicht.

Unternehmer:in ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt, also jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen. Für die Unternehmereigenschaft ist jedoch erforderlich, dass der/die Unternehmer:in nicht lediglich tatsächlich eine entgeltliche Leistung erbringt, sondern vielmehr auch die Absicht hat, solche Leistungen zu erbringen. Diese Absicht kann z.B. durch ein bestimmtes Verhalten in Erscheinung treten.

Auf deutscher Ebene musste sich zuletzt 2019 der Bundesfinanzhof (BFH) mit der Umsatzsteuerpflicht einer Aufsichtsratsvergütung befassen. Mit Urteil vom 27. November 2019, V R 23/19 (V R 62/17) entschied der BFH unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung gegen eine Umsatzsteuerpflicht, wenn Aufsichtsratsmitglieder aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko tragen.

In einem darauffolgenden Urteil hat das niedersächsische Finanzgericht in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass auch ein einfaches Mitglied eines Verwaltungsausschusses eines berufsständischen Versorgungswerks kein:e Unternehmer:in im Sinne des Art. 9 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie ist, wenn es diese Tätigkeit nicht mit eigenem wirtschaftlichem Risiko ausübt (Niedersächsische Finanzgericht Urteil vom 19. November 2019 (5 K 2828/18)).

Umsatzsteuer: Wann ist ein Verwaltungsratsmitglied selbstständig?

Mit Blick auf Art. 9 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) ist insbesondere bei einem/einer Händler:in, Erzeuger:in oder Dienstleistenden eine solche Unternehmerabsicht anzunehmen. In anderen atypischen Fällen ist die Unternehmereigenschaft durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale „nachhaltig“ und „selbstständig“ (so BFH V R 8/89, BStBl. II 1993, 379) verwirklicht. Es kommt daher auf die Gesamtbetrachtung des Einzelfalles an, ob die Voraussetzungen einer unternehmerischen Tätigkeit erfüllt sind.

Weiterhin muss die Tätigkeit des Leistenden ,,selbstständig“ sein. Weder das Umsatzsteuergesetz (UstG) noch die MwStSystRL definieren, wann Selbstständigkeit vorliegt. Dennoch nennt § 2 Abs. 2 UStG Tatbestände, die keine Selbstständigkeit begründen. Bei natürlichen Personen mangelt es an der Selbstständigkeit, soweit diese in ein Unternehmen eingegliedert und weisungsgebunden sind. Im konkreten Fall hat der EuGH ausgeführt, dass der Verwaltungsrat keinem hierarchischen Unterordnungsverhältnis gegenüber der Aktiengesellschaft unterliegt. Aber der EuGH stellt weiterhin fest, dass der Verwaltungsrat nicht auf eigene Rechnung (Unternehmerrisiko) und nicht in eigener Verantwortung (Unternehmerinitiative) tätig wird.

Ferner liegt eine Selbstständigkeit vor, wenn die Tätigkeit unter anderem den Rückgriff auf eigene Arbeitsmittel und eigenes Vermögen umfasst. Im Umkehrschluss spricht also für die Unselbstständigkeit die Benutzung von Gegenständen des fremden Betriebsvermögens und die Arbeit für eine:n einzige:n Auftraggeber:in.

Selbstständigkeit von Verwaltungsratsmitgliedern – das sagt der EuGH zur Umsatzsteuerpflicht

Wie der EuGH herausstellt, hat das nationale Gericht hinsichtlich der Selbstständigkeit zu prüfen, ob die Person ihre Tätigkeiten in eigener Verantwortung ausführt und ob sie das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten verbundene wirtschaftliche Risiko trägt. Die Tätigkeit des TP umfasst lediglich eine beratende Funktion. Er selbst nimmt zwar an Abstimmungen teil, haftet jedoch grundsätzlich nicht persönlich für Verpflichtungen der Gesellschaft. Daher trägt die Gesellschaft und nicht TP mögliche Risiken der Entscheidungen des Verwaltungsrats. Zudem übernimmt TP mit seiner erfolgsabhängigen Vergütung kein eigenes Gewinn- und Verlustrisiko. Denn TP partizipiert wie ein Aktionär nur am Erfolg der Gesellschaft, da die Tantieme im schlimmsten Fall nur 0 Euro betragen kann und keinen Verlust der Gesellschaft darstellt. 

Unsere Einschätzung

Wir halten fest, dass die Tätigkeit des Verwaltungsrates, die Gegenstand des EuGH-Urteils war, zumindest in Teilen vergleichbar mit der Tätigkeit und der Vergütung eines deutschen Aufsichtsratsmitglieds ist. Zudem zeigt die neue EuGH-Entscheidung, dass eine variable Vergütung allein nicht zu einem wirtschaftlichen Risiko des Verwaltungsrats führt. Vielmehr muss das Mitglied auch das Verlustrisiko der Gesellschaft mittragen. Es stellt sich die Frage, inwieweit dies der bisherigen Verwaltungsauffassung, insbesondere bei Aufsichtsräten entgegensteht.

Neben den umsatzsteuerlichen Verpflichtungen sind insbesondere in grenzüberschreitenden Fällen auch andere Aspekte zu berücksichtigen. Beispielsweise unterliegen beschränkt steuerpflichtige Aufsichtsrats- oder Verwaltungsmitglieder, die in Deutschland tätig sind, einem gesonderten Steuerabzug. In grenzüberschreitenden Fällen sollte von Beginn an eine Prüfung der Steuerpflicht in den betroffenen Ländern durchgeführt werden. Darüber hinaus empfiehlt es sich bereits zu Beginn, einen klar definierten Prozess zur Wahrung der steuerlichen Pflichten aufzusetzen. 

Haben Sie Fragen zu einer möglichen Umsatzsteuerpflicht von Aufsichtsrats- oder Verwaltungsmitgliedern? Unsere Berater:innen beantworten diese gerne.

Marcus Sauer

Partner, Steuerberater, Diplom-Volkswirt

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