28. März 2023
Vermeidung der Wegzugsbesteuerung durch Wertpapierleihe?
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 23.11.2022 (Az. I R 52/19) eine Entscheidung zur Umgehung der Wegzugsbesteuerung durch Wertpapierleihe getroffen. Durch eine Wertpapierleihe wird das wirtschaftliche Eigentum an Wertpapieren übertragen, sodass der oder die Steuerpflichtige zum Zeitpunkt des Wegzugs steuerlich nicht mehr als Eigentümer:in der Aktien gilt. Was dies im Einzelnen bedeutet, erfahren Sie hier.
Sachverhalt im vorliegenden Fall
Der Kläger beabsichtigte, im Jahr 2007 Geschäftsführer einer schweizerischen Gesellschaft zu werden. Deswegen verlegte er am 29.12.2006 seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs hielt der Kläger eine wesentliche Beteiligung im Sinne des § 17 EStG an einer deutschen Aktiengesellschaft (AG). Ende 2006 schloss er mit einem deutschen Darlehensnehmer einen Wertpapierdarlehensvertrag über die Wertpapiere dieser AG. Nach den Vertragsbedingungen konnte der Darlehensnehmer uneingeschränkt über die Aktien verfügen und hatte Anspruch auf alle Erträge, Stimmrechte und die Verfügungsgewalt über sämtliche Aktien. Im Gegenzug erhielt der Darlehensgeber eine Vergütung in Form eines festen jährlichen Zinssatzes. Der Darlehensvertrag trat am 31.12.2006 in Kraft.
Das Finanzamt sah wegen des Umzugs des Klägers in die Schweiz die Voraussetzungen des § 6 Gesetz über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (AStG) als erfüllt an und setzte die Wegzugsbesteuerung entsprechend § 6 AStG in Verbindung mit § 17 EStG fest. Sowohl der dagegen gerichtete Einspruch als auch die anschließende Klage scheiterten.
Was bedeutet Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG?
Die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG tritt ein, wenn eine natürliche Person, die mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aufgibt und zum Zeitpunkt des Wegzugs eine wesentliche Beteiligung im Sinne des § 17 EStG hält.
Eine solche Beteiligung nach § 17 EStG liegt vor, wenn der oder die Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre unmittelbar oder mittelbar zu mindestens einem Prozent an einer Kapitalgesellschaft beteiligt war. Erfüllt der oder die Steuerpflichtige diese Voraussetzungen, stellt das Finanzamt einen entsprechenden Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG fest, obwohl der oder die Steuerpflichtige die Beteiligung weiterhin hält.
Die Wegzugsbesteuerung kann ein erhebliches Hindernis für den Wegzug ins Ausland darstellen, da etwaige liquide Mittel mangels tatsächlicher Veräußerung der Anteile nicht zur Verfügung stehen und auch eine Stundung o. ä. bei tatsächlicher Veräußerung der Anteile nicht mehr möglich ist. Die Finanzverwaltung räumt bei einem Wegzug nur die Möglichkeit ein, die Steuer in Raten über sieben Jahre zu zahlen.
Umgehung der Wegzugsbesteuerung
Im vorliegenden Fall erkannte der BFH, dass mit Abschluss des Wertpapierdarlehensvertrages das wirtschaftliche Eigentum an den Gesellschaftsanteilen wirksam auf den Darlehensnehmer übergegangen ist. Die steuerliche Zurechnung der Aktien erfolgte daher mit Abschluss des Darlehensvertrages nicht mehr beim Darlehensgeber und ursprünglichen Eigentümer der Aktien.
Letztlich musste der BFH im vorliegenden Fall nicht klären, ob die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG im Zeitpunkt der Wohnsitzaufgabe durch den Abschluss eines Wertpapierdarlehensvertrages tatsächlich vermieden werden konnte, da die darlehensweise Übertragung der Aktien erst nach dem Wegzug in die Schweiz erfolgte. Daher waren die Aktien dem Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des Wegzugs zuzurechnen und eine entsprechende Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG vorzunehmen.
Unsere Einschätzung
Der BFH musste in dieser Sachverhaltskonstellation schlussendlich nicht entscheiden, ob die Wegzugsbesteuerung durch den Abschluss eines Wertpapierdarlehensvertrages tatsächlich vermieden werden kann. Da der BFH jedoch bestätigt hat, dass das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien durch den Abschluss des Wertpapierdarlehensvertrages auf den Darlehensnehmer übergegangen ist, kann mangels Zurechnung der Aktien keine Wegzugsbesteuerung ausgelöst werden. Dieser Fall kann jedoch im Nachhinein eintreten, wenn das wirtschaftliche Eigentum aufgrund der Kündigung oder des Auslaufs des Darlehensvertrages wieder an den wirtschaftlichen Eigentümer zurückfällt.
Ein Wertpapierdarlehensvertrag stellt daher eine attraktive und vergleichsweise einfache Möglichkeit zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung dar. Neben der Gründung einer GmbH & Co. KG mit entsprechender Substanz im Inland, in die die Gesellschaftsanteile eingebracht werden, sollten Sie diese Option vor einem Wegzug zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung ebenfalls in Betracht ziehen.