Vorsteuerabzug und Steuerbefreiung➔ Das FG Hamburg klärt die Bedingungen bei Anwendung der umsatzsteuerlichen Optierung
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4. September 2024

Vorsteuerausschluss bei “fiktiver doppelter Option” und Reverse-Charge-Verfahren: Urteil des FG Hamburg vom 24. Mai 2024

Kategorien: Rechtsberatung

Ob und unter welchen Voraussetzungen kommt es bei einer „fiktiven doppelten Option“ unter gleichzeitiger Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens im Mitgliedstaat des Leistungsempfängers nicht zum Vorsteuerausschluss nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UStG? 

Das Finanzgericht (FG) Hamburg hat sich in seinem Urteil vom 24. Mai 2024 (Az. 5 K 77/22) mit dieser komplexen Frage befasst. Im Kern ging es um die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs bei Finanzdienstleistungen eines im Inland ansässigen Unternehmens an ein im EU-Ausland ansässiges Unternehmen, hier Lettland, Malta, Rumänien und Frankreich. Das deutsche Unternehmen hatte in seinen Rechnungen auf das Reverse-Charge-Verfahren hingewiesen. Zudem enthielt die Rechnung den Hinweis: “Die Umsatzsteuer ist gegebenenfalls vom Leistungsempfänger anzumelden und abzuführen.” Auch hat das leistende Unternehmen diese Umsätze als steuerpflichtige Umsätze in der Umsatzsteuer-Voranmeldung und der Umsatzsteuer-Jahreserklärung sowie in der Zzusammenfassenden Meldung an die ausländische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Leistungsempfängers gemeldet. Das Finanzamt versagte jedoch insoweit den Vorsteuerabzug aus Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Online-Plattform und aus Online-Marketingmaßnahmen mit dem Hinweis der fehlenden Nachweise der Option zur Steuerpflicht und Versteuerung der Leistungen im jeweiligen EU-Mitgliedstaat.  

Umsatzsteueroption und Vorsteuerabzug 

Finanzdienstleistungen wie das Einlagengeschäft sind nach § 4 Nr. 8 lit. a) bis g) UStG grundsätzlich umsatzsteuerfrei. Durch eine Option gemäß § 9 UStG kann der Unternehmer jedoch zur Steuerpflicht der Umsätze optieren.  Dies eröffnet die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs. 

Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG ist der Vorsteuerabzug jedoch ausgeschlossen, wenn die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im Ausland für Umsätze verwendet werden, die steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt worden wären. Wird jedoch zur Umsatzsteuerpflicht optiert, entfällt dieser Vorsteuerausschluss. 

Das Reverse-Charge-Verfahren und seine Auswirkungen 

Beim sog.  Reverse-Charge-Verfahren wird der Leistungsempfänger zum Steuerschuldner wird. Dies betrifft insbesondere grenzüberschreitende B2B-Dienstleistungen gemäß § 3a Abs. 2 UStG. In Bezug auf das FG Hamburg Urteil wurde insoweit geprüft, wie sich ein Verzicht auf die Steuerbefreiung im Kontext des Reverse-Charge-Verfahrens auf den Vorsteuerabzug im Inland (in Deutschland) auswirkt. Das Finanzgericht bestätigt die sog. “fiktive doppelte Steuerpflicht” der Ausgangsleistung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug aus Leistungen, die für Umsätze im übrigen Gemeinschaftsgebiet verwendet werden. Unter der “fiktiven doppelten Steuerpflicht” versteht das Gericht die Optionsmöglichkeit nach inländischem Recht und die Behandlung des Umsatzes als steuerpflichtig im Ausland. 

Steuerpflicht im übrigen Gemeinschaftsgebiet 

Das Urteil verdeutlicht sehr schön: Nicht alle EU-Mitgliedstaaten bieten die Möglichkeit der Option zur Umsatzsteuerpflicht bei Finanzdienstleistungen. So hat das Finanzgericht Hamburg den Vorsteuerabzug abgelehnt, soweit die Leistungen an Empfänger in Lettland, Malta und Rumänien erbracht wurden, denn in diesen Ländern besteht diese Optionsmöglichkeit nicht. Ein Vorsteuerabzug in Deutschland ist folglich mangels einer in dem anderen Mitgliedsstaat steuerpflichtigen Ausgangsleistung nicht möglich. In Frankreich besteht dagegen das Optionsrecht, ein Vorsteuerabzug war daher aufgrund des Vorliegens der steuerpflichtigen Ausgangsleistungen an Leistungsempfänger In Frankreich im vorliegenden Fall möglich. 

Voraussetzungen für die Steueroption im Ausland 

Um im europäischen Ausland zur Umsatzsteuer optieren zu können, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: 

  • Es muss in dem betreffenden Land eine Möglichkeit zur Steueroption bestehen und die Voraussetzungen der Option erfüllt sein. 
  • Der Hinweis auf das Reverse-Charge-Verfahren (Steuerpflicht des Leistungsempfängers) muss in den Rechnungen an die Leistungsempfänger enthalten sein. 
  • Die betroffenen Umsätze müssen in den Zusammenfassenden Meldungen (ZM) und in der Umsatzsteuererklärung angegeben werden. 
  • Streitig ist hingegen, ob für eine wirksame Option die Zustimmung des Leistungsempfängers vorliegen muss.  

Das FG Hamburg hat im entschiedenen Fall aber eine wirksame Optionsausübung zumindest einer Bank in Frankreich gegenüber bestätigt. Die Zustimmung des Leistungsempfängers sah das Gericht in der im Vertrag vorgesehenen Regelung der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens auf die Umsatzsteuer bzgl. der von der A-GmbH erbrachten Leistungen. Eine zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens führende Umsatzsteuerpflicht setzt – so das Finanzgericht – die Ausübung der Option wegen der anderenfalls geltenden Umsatzsteuerfreiheit aber voraus.  

Auswirkungen und Einschätzung 

Das Urteil des FG Hamburg hat erhebliche Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug im Rahmen von Finanzdienstleistungen mit Leistungsort im europäischen Ausland. Aber auch generell alle optionsfähigen Umsätze nach § 4 Nr. 8 Buchstabe a bis g, Nr. 9 Buchstabe a, Nr. 12, 13 oder 19 UStG sind von der Regelung betroffen. Unternehmen sollten daher in jedem Einzelfall sicherstellen, dass alle Voraussetzungen für eine wirksame Option zur Umsatzsteuerpflicht erfüllt sind, um den Vorsteuerabzug aus Leistungsbezügen geltend machen zu können. 

Möglicherweise ist dies aber noch nicht das Ende der Diskussion. Das Finanzgericht hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. 

Unsere Empfehlung 

Überprüfen Sie, ob in dem betreffenden Mitgliedstaat die Option zur Steuerpflicht besteht und ob alle Anforderungen der Option erfüllt wurden. Sollte dies nicht der Fall sein, empfehlen wir, Maßnahmen zu ergreifen, um zumindest mögliche Risiken in der Zukunft zu minimieren. Wenn Sie weitere Fragen zum Thema haben, wenden Sie sich vertrauensvoll an unsere Rechtsanwältin Undine Vorsprach, unseren Rechtsanwalt/Steuerberater Tino Wunderlich oder direkt an die Indirect Tax Service Line.

Vermerk: Bitte beachten Sie, dass in diesem Dokument bei den durch Gesetze festgeschriebenen Begriffen auf das Gendern verzichtet wird, um die juristische Präzision und Klarheit zu wahren. In allen anderen Textteilen wird eine gendergerechte Sprache verwendet, um die Gleichstellung aller Geschlechter zu fördern. 

Tino Wunderlich

Associate Partner, Rechtsanwalt, Steuerberater, Bereich Energiesteuern

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