©nmann77/Adobe Stock

24. Juli 2025

BAG-Urteil 2025: Keine Bewerbungspflicht bei Freistellung nach Kündigung

Kategorien: Rechtsberatung

Inhaltsverzeichnis

In der arbeitsrechtlichen Praxis stellt sich häufig die Frage, welche Rechte und Pflichten Arbeitnehmer:innen während einer Freistellung nach einer Kündigung haben. Müssen sie sich aktiv um eine neue Anstellung bemühen oder dürfen sie die Zeit tatsächlich als bezahlte Ruhephase betrachten? 

Mit Urteil vom 12.03.2025 (Az. 5 AZR 127/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu eine klare Antwort gegeben: Arbeitnehmer:innen, die während der Kündigungsfrist freigestellt werden, sind grundsätzlich nicht verpflichtet, sich um eine neue Beschäftigung zu bemühen, um ihren Lohnanspruch aufrechtzuerhalten. Das Urteil bringt mehr Klarheit in ein rechtlich umstrittenes Thema. 

BAG-Urteil zur Freistellung: Was dem Arbeitnehmer vorgeworfen wurde 

Ein Senior Consultant wurde im Rahmen einer ordentlichen Kündigung mit einer Frist von drei Monaten freigestellt. Die Freistellung erfolgte unwiderruflich und unter Fortzahlung der Bezüge, ohne Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Während der Freistellungsphase erhielt der Arbeitnehmer insgesamt 43 Stellenangebote, die nach Ansicht des Arbeitgebers seinem Qualifikationsprofil entsprachen. Der Arbeitgeber forderte ihn mehrfach auf, sich zu bewerben. Der Mitarbeiter reagierte zunächst nicht und bewarb sich erst kurz vor Ende der Kündigungsfrist auf sieben dieser Stellen. 

Daraufhin stellte der Arbeitgeber die Gehaltszahlung für den letzten Monat ein. Er berief sich auf § 615 Satz 2 BGB und warf dem Arbeitnehmer vor, es böswillig unterlassen zu haben, zumutbaren anderweitigen Verdienst zu erzielen. Der Fall ging durch alle Instanzen bis vor das Bundesarbeitsgericht. 


Was Sie auch interessieren könnte:


Böswilliges Unterlassen im Arbeitsrecht: Das sagt das BAG

615 BGB regelt, dass der Arbeitgeber bei Annahmeverzug weiterhin zur Lohnzahlung verpflichtet ist, auch wenn Arbeitnehmende nicht arbeiten. Satz 2 der Vorschrift sieht jedoch eine Ausnahme vor, wonach der Lohnanspruch entfällt, wenn Arbeitnehmende es böswillig unterlassen, eine zumutbare anderweitige Tätigkeit aufzunehmen. Die zentrale Frage war daher, wann ein solches “böswilliges Unterlassen” vorliegt.

Beschäftigungspflicht und Annahmeverzug bei Freistellung: Was gilt rechtlich? 

Die Verpflichtung des Arbeitgebers, Arbeitnehmende zu beschäftigen, ergibt sich aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis und stellt eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht dar.  

Rechte und Pflichten bei Freistellung im Arbeitsrecht 

Sie ist gesetzlich in den §§ 611a und 613 BGB verankert und wird durch die Generalklausel des § 242 BGB sowie durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG ergänzt. 

Grundsätzlich haben Arbeitnehmende im bestehenden Arbeitsverhältnis Anspruch auf eine vertragsgemäße tatsächliche Beschäftigung. Daraus folgt eine korrespondierende Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmenden diese Beschäftigung zu ermöglichen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung im konkreten Einzelfall im Vergleich zum Beschäftigungsinteresse der Arbeitnehmenden überwiegt. 

Kommt es während der Kündigungsfrist zu einer einseitigen Freistellung durch den Arbeitgeber, verletzt dieser regelmäßig seine Beschäftigungspflicht und gerät dadurch in Annahmeverzug gemäß § 615 BGB – ein zentraler Begriff für die Vergütungspflicht trotz fehlender Arbeitsleistung. In dieser Situation wäre es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, vom Arbeitnehmenden zu verlangen, bereits während des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses eine andere Tätigkeit aufzunehmen. Eine solche Forderung würde letztlich bedeuten, dass sich der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Vergütungszahlung entzieht, obwohl er selbst die vertragliche Beschäftigung verweigert. 

Ebenso wie der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, die Interessen des Arbeitnehmenden uneingeschränkt zu fördern, ist auch der Arbeitnehmende nicht gehalten, den vertragsuntreuen Arbeitgeber durch eine anderweitige Beschäftigung finanziell zu entlasten. Die Pflicht zur Schadensminderung darf daher nicht einseitig auf den Arbeitnehmenden verlagert werden. 

BAG stärkt Arbeitnehmerrechte bei einseitiger Freistellung 

Das Urteil stärkt die Rechte von Arbeitnehmer:innen bei einseitiger Freistellung – insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob und in welchem Umfang eine Pflicht zur Bewerbung oder zur Erzielung anderweitigen Verdienstes besteht. Das BAG stellte klar, dass § 615 Satz 2 BGB restriktiv auszulegen ist. Ein böswilliges Unterlassen im Sinne dieser Vorschrift liegt nur in Ausnahmefällen vor. Arbeitnehmende sind grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, sich während einer einseitigen Freistellung aktiv um eine neue Anstellung zu bemühen. Der Arbeitgeber kann diese Pflicht nicht einseitig begründen, nur weil er dem Arbeitnehmenden keine Arbeit mehr zuweist. 

Freistellung ohne Bewerbungsdruck: Das sagt das BAG 

Voraussetzung für die Anwendung von § 615 Satz 2 BGB ist vielmehr, dass der Arbeitgeber konkret darlegt, dass es sich um zumutbare, verfügbare Stellen handelt und dass der Arbeitnehmende diese mutwillig oder treuwidrig abgelehnt hat. Dies war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.  

Zudem stellte das Gericht klar, dass der Arbeitgeber schon nicht dargelegt habe, warum es ihm unzumutbar gewesen sein sollte, den Kläger auch während der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Auch vor diesem Hintergrund bestand für den Arbeitnehmenden keine Verpflichtung, bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, um die beklagte Partei finanziell zu entlasten oder anderweitigen Verdienst zu erzielen. 

Die Beklagte befand sich daher in Annahmeverzug und war verpflichtet, das Gehalt für die gesamte Kündigungsfrist zu zahlen. Eine Anrechnung wegen unterlassener Erwerbstätigkeit kam nicht in Betracht, da der Kläger nicht treuwidrig untätig war. 

BAG-Urteil: Was Freistellung künftig bedeutet 

Arbeitgeber werden künftig verstärkt auf einvernehmliche Regelungen setzen müssen, etwa im Rahmen eines Aufhebungsvertrags, bei dem Pflichten zur aktiven Stellensuche ausdrücklich vereinbart werden.  

Gleichzeitig wird die Pflicht zur Mitwirkung durch den Arbeitnehmenden enger begrenzt. Die Entscheidung stärkt die Position von Arbeitnehmenden, die sich gegen pauschale Vorwürfe oder Gehaltskürzungen während der Freistellung zur Wehr setzen. 

Zudem dürfte das Urteil auch gegenüber der Agentur für Arbeit Relevanz entfalten, insbesondere bei der Beurteilung von Sperrzeiten. Ein passives Verhalten während einer einseitigen Freistellung kann demnach nicht automatisch als Arbeitsverweigerung gewertet werden. 

Vergütung trotz Freistellung? Unsere Einschätzung zum BAG-Urteil 2025 

Das Bundesarbeitsgericht hat mit diesem Urteil ein klares Zeichen gesetzt. Es schützt Arbeitnehmende davor, während einer unfreiwilligen Freistellung unter Druck gesetzt zu werden und schafft rechtliche Klarheit. Die enge Auslegung von § 615 Satz 2 BGB zeigt, dass Arbeitgeber Freistellungen künftig noch sorgfältiger und rechtssicher gestalten müssen.  

Haben Sie Fragen zum Thema Freistellung oder möchten Sie sich beraten lassen? Unser Rechtsanwalt Luca Jatzek unterstützt Sie gerne – nehmen Sie einfach Kontakt auf. 


Vermerk: Bitte beachten Sie, dass in diesem Dokument bei den durch Gesetze festgeschriebenen Begriffen auf das Gendern verzichtet wird, um die juristische Präzision und Klarheit zu wahren. In allen anderen Textteilen wird eine gendergerechte Sprache verwendet, um die Gleichstellung aller Geschlechter zu fördern. 

Expert:innen zu diesem Thema

Keine passenden Personen gefunden.

Das könnte Sie auch interessieren

  • KI im Arbeitsrecht: Rechte, Pflichten und rechtssicherer Einsatz- Digital illustration of the scales of justice on top of an AI circuit board, symbolizing technology and law in modern work settings.

    Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Arbeitsrecht und in Unternehmen schreitet rasant voran – ob in der Personalplanung, Leistungsbewertung, Bewerberauswahl oder im täglichen Arbeitsprozess. Doch mit den technischen Möglichkeiten stellen sich zunehmend rechtliche Fragen: Dürfen Arbeitgeber:innen KI einfach [...]

    Louisa Reitemeier

    08. Sep. 2025

  • In einem Urteil vom 19.09.2024 setzte sich das Bundesarbeitsgericht mit den Grenzen des Entschädigungsanspruchs nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auseinander. Der Fall eines sogenannten “AGG-Hoppers”, der das Gesetz als Geschäftsmodell nutzen wollte, verdeutlicht, wann eine Entschädigung ausgeschlossen ist.   [...]

    Marcus Büscher

    17. Okt. 2024

  • Die Rückkehr aus dem Homeoffice sorgt immer wieder für rechtliche Auseinandersetzungen. Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln zeigt, dass Arbeitgebende das Homeoffice nicht ohne sachliche Begründung widerrufen dürfen. Erfahren Sie, welche Rechte Arbeitnehmende haben und wie Unternehmen rechtssicher handeln [...]

    Louisa Reitemeier

    19. Dez. 2024