Das Equal Pay-Urteil des Bundesarbeitsgerichts_ Entgeltgleichheit sticht _Privatautonomie
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24. Februar 2023

Das Equal Pay-Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Entgeltgleichheit sticht Privatautonomie

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 16.02.2023 (Az. 8 AZR 450/21) entschieden, dass unterschiedlich erfolgreiche Gehaltsverhandlungen kein objektives Differenzierungskriterium für unterschiedlich hohe Vergütungen sind. Was nun?  

Dieser Fall liegt dem Equal Pay-Urteil zugrunde

Die Klägerin ist seit dem 1. März 2017 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb eines Unternehmens der Metall- und Elektroindustrie beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundentgelt betrug anfangs 3.500 Euro brutto. Außer der Klägerin waren zwei männliche Außendienstmitarbeiter im Vertrieb beschäftigt, einer davon seit dem 1. Januar 2017. Das beklagte Unternehmen hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Grundentgelt von 3.500 Euro brutto angeboten. Das lehnte er ab und verhandelte für sich ein Grundentgelt von 4.500 Euro brutto.

Equal Pay-Urteil: Warum ging die Frau vor Gericht?

Die Klägerin war der Auffassung, dass ihr ein ebenso hohes Grundentgelt gezahlt werden muss wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Mit ihrer Klage forderte sie vom Unternehmen die Zahlung rückständiger Vergütungen für die Monate des Entgeltunterschiedes. Darüber hinaus forderte sie eine angemessene Entschädigung.

Equal Pay-Urteil: So ist die Rechtslage

Wenn eine Partei mit Indizien beweist, dass sie zum Beispiel wegen ihres Geschlechts benachteiligt wird, dann trägt die Gegenseite nach § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) die Beweislast. Sie muss beweisen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Nach § 7 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) darf bei Beschäftigungsverhältnissen für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten kein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden als bei Beschäftigten des anderen Geschlechts. Arbeitnehmer:innen müssen die unterschiedliche Bezahlung und das Vorliegen einer vergleichbaren Tätigkeit beweisen.

Im Ergebnis führt das aus Arbeitgebersicht dazu, dass bei Vereinbarung eines geringeren Entgelts bei gleicher Tätigkeit regelmäßig eine Differenzierung aufgrund des Geschlechts der Beschäftigten vermutet wird. Der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin muss dann objektive Kriterien darlegen und beweisen, dass die unterschiedliche Bezahlung weder diskriminierend noch geschlechtsspezifisch begründet ist.

So kam es zum Equal Pay-Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin vor dem BAG hatte dann aber ganz überwiegend Erfolg. Die Klägerin habe nach Art. 157 AEUV sowie §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG einen Anspruch auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Das beklagte Unternehmen habe die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, da sie ihr bei vergleichbarer Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt zahlte als ihrem männlichen Kollegen. Dies begründe die Vermutung nach § 22 AGG, die Benachteiligung sei aufgrund des Geschlechts erfolgt. Diese Vermutung hatte das beklagte Unternehmen nach Auffassung des BAG nicht widerlegen können. Es könne sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dessen Geschlecht, sondern dem Umstand, dass er sein Grundgehalt besser verhandelt habe.

Unsere Einschätzung: Was bedeutet das Equal Pay-Urteil für Arbeitgeber:innen?

Das BAG hat in den Kreis objektiver Kriterien, die zur Entkräftung der Vermutung diskriminierender Behandlung nach § 22 AGG in Betracht kommen, enger gezogen. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis einer privatautonomen Vereinbarung des Entgelts und der Gewährleistung von Entgeltgleichheit wurde durch das BAG zugunsten der Beschäftigtenseite aufgelöst. Eine bessere Verhandlungsführung kann hiernach kein objektives Kriterium sein, das eine ungleiche Entgeltvereinbarung rechtfertigt. Diesem Ergebnis dürfte zugrunde liegen, dass auch Verhandlungsführung im Einzelfall von geschlechterspezifischen Faktoren abhängen kann.

Arbeitgeber:innen müssen bei der Verhandlung von Entgelten beachten, dass die bloße individuelle Vereinbarung nicht entlastet. Es müssen vielmehr objektive Differenzierungskriterien herangezogen und dokumentiert werden. Diese müssen das unterschiedliche Ergebnis der Verhandlungen stützen und begründen können. Eine getroffene Vereinbarung darf nicht isoliert betrachtet werden. Sie steht immer in Relation zu bestehenden und bevorstehenden anderen Beschäftigungsverhältnissen. Zeichnet sich ab, dass das Verhandlungsergebnis von den Ergebnissen der Verhandlungen mit anderen Beschäftigten abweichen wird, müssen Arbeitgeber:innen genau prüfen, ob die vorgenommene Differenzierung im Ernstfall vor Gericht standhalten kann.

Arbeitgeber:innen können sich aber weiterhin auf bekannte Kriterien wie Berufserfahrung und Qualifikation des oder der Beschäftigten berufen. Auch zeitlicher Druck bei einer Stellenbesetzung kommt mit Blick auf Gehaltsverhandlungen für die Gewährung eines höheren Entgelts in Betracht. Wir raten zu einer sauberen und nachvollziehbaren Dokumentation, dabei stehen Ihnen unsere Arbeitsrechtler:innen gerne zur Verfügung.

Marcus Büscher

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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