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12. Februar 2025

Scheinselbständigkeit rechtssicher vermeiden: Was Sie wissen müssen

Kategorien: Rechtsberatung

Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 24.10.2024 (Az.: L 12 BA 9/23) hat eine wichtige Klarstellung zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Tätigkeiten von Hörfunkreporter:innen geliefert. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob ein Reporter als abhängig beschäftigt, und somit sozialversicherungspflichtig, oder als selbstständig einzustufen sei. Das Gericht legte dar, dass eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche notwendig isei, und hob damit die Vielschichtigkeit solcher Beschäftigungsverhältnisse hervor. 

Ausgangslage des Verfahrens: Scheinselbständigkeit und Statusfeststellung 

Ein Hörfunkreporter, der sich selbst als „vollkommen freier Autor“ bezeichnete, hatte bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) einen Antrag auf Statusfeststellung gestellt. Ein Statusfeststellungsverfahren dient dazu, die sozialversicherungsrechtliche Einstufung von Personen als abhängig Beschäftigte oder selbstständig Tätige zu klären. Die DRV stufte den Hörfunkreporter als abhängig beschäftigt und damit als sozialversicherungspflichtig ein. Diese Entscheidung der DRV wurde vom Sozialgericht Bremen bestätigt.  

Das Landessozialgericht (LSG) entschied in der Berufung differenzierter: Es stellte fest, dass innerhalb derselben Auftragsbeziehung sowohl abhängige als auch selbstständige Tätigkeiten vorliegen können. 

Kernpunkte der Entscheidung des LSG zur Scheinselbständigkeit 

Das LSG führte aus, dass die sozialversicherungsrechtliche Einordnung von Mitarbeiter:innen maßgeblich von der Art ihrer Tätigkeit abhänge. Dabei stellte das Gericht im zu beurteilenden Fall folgende Kriterien heraus: 

  1. Merkmale einer abhängigen Beschäftigung
    Eine Tätigkeit sei als abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig einzustufen, wenn der:die Beschäftigte in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden ist.Dies zeige sich insbesondere durch: 

    • feste Arbeitszeiten, 
    • ein regelmäßiges Gehalt, 
    • Weisungsgebundenheit in Bezug auf Art, Ort und Zeit der Arbeit, 
    • keine wesentliche unternehmerische Freiheit.Diese Merkmale deuten auf eine persönliche Abhängigkeit und somit auf ein Beschäftigungsverhältnis gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV hin.
  2. Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit
    Eine selbstständige Tätigkeit liege hingegen vor, wenn der:die Beschäftigte einzelne, klar abgrenzbare Werke wie Hörfunkbeiträge eigenverantwortlich erstellt. In diesen Fällen überwiege:

    • künstlerische Gestaltungsfreiheit, 
    • Entscheidungsfreiheit bei der Annahme oder Ablehnung von Aufträgen, 
    • eigenständige Organisation der Arbeit, 
    • Unternehmerrisiko.  

Überwiegt die künstlerische Gestaltungsfreiheit, so handele es sich um eine selbstständige Tätigkeit, bei der keine Sozialversicherungspflicht besteht. 

Weitere Ausführungen zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit (bei Lehrkräften) können Sie in unserem bereits erschienenen Blogartikel nachlesen. 

Scheinselbständigkeit und Abgrenzungskriterien: Ein Urteil mit besonderer Bedeutung  

Das LSG hob hervor, dass innerhalb eines einzigen Beschäftigungsverhältnisses verschiedene Tätigkeiten unterschiedlich eingestuft werden könnten. Dies bedeutet, dass Hörfunkreporter:innen die Tätigkeiten teilweise sozialversicherungspflichtig und teilweise selbstständig ausüben können. 

Diese differenzierte Betrachtung stärkt einerseits die Rechtssicherheit, da pauschale Einordnungen der Realität häufig nicht gerecht werden. Gerade in kreativen Berufen, in denen projektbasierte und flexible Arbeitsmodelle üblich sind, liefert das Urteil wertvolle Orientierung. Andererseits kann es zu erhöhtem bürokratischem Aufwand führen, wenn zwischen den Vertragsparteien zeitgleich mehrere Beschäftigungsverhältnisse bestehen. 

Auswirkungen auf die Praxis: Scheinselbständigkeit prüfen und vermeiden 

Für Auftraggeber:innen und Auftragnehmer:innen bedeutet das Urteil, dass die vertraglichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit sorgfältig geprüft werden müssen. Einzelfallbetrachtungen gewinnen weiterhin an Bedeutung. Insbesondere Rundfunkanstalten und Unternehmen im kreativen Bereich sollten darauf achten, klare vertragliche Regelungen zu treffen und die Art der Tätigkeit präzise zu definieren, um Scheinselbständigkeit zu vermeiden.  

Zusammenhang zur Scheinselbstständigkeit: Kriterien, Definition, rechtliche Einordnung 

Das Urteil unterstreicht die Relevanz der Abgrenzung von selbstständiger und abhängiger Tätigkeit, die eng mit der Problematik der Scheinselbstständigkeit verknüpft ist. Eine Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Tätigkeit als selbstständig deklariert wird, tatsächlich aber die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung überwiegen. 

Das LSG zeigt auf, dass im Einzelfall entscheidend ist, welche Merkmale überwiegen – Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation sprechen eher für eine abhängige Beschäftigung, während künstlerische Freiheit und Eigenverantwortung eher für Selbstständigkeit sprechen. In dem Zusammenhang verdeutlicht aber auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass Weisungsgebundenheit und Eingliederung nicht kumulativ vorliegen müssen, um von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. 

Unsere Einschätzung: Scheinselbstständigkeit rechtssicher vermeiden 

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen bietet eine differenzierte Perspektive auf die Beurteilung von Tätigkeiten, die sich im Grenzbereich zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit bewegen. Es zeigt, dass eine klare Trennung nicht immer möglich ist und unterschiedliche Tätigkeiten innerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses unterschiedlich eingestuft werden können. Für Auftraggeber:innen wie Auftragnehmer:innen ist dies ein wichtiger Hinweis, die rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen ihrer Zusammenarbeit sorgfältig zu prüfen, um rechtliche Risiken wie etwa die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu vermeiden. Klarheit kann auch ein Antrag auf Statusfeststellung bei der Clearingstelle der DRV schaffen. 

Das Urteil verdeutlicht zudem, wie komplex die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit sein kann. Dies gilt besonders in kreativen Branchen oder bei projektbasierten Arbeitsmodellen, wo flexible Arbeitsweisen gängige Praxis sind. Eine genaue Prüfung der konkreten Tätigkeitsmerkmale ist hier unerlässlich, um sowohl rechtliche Klarheit als auch eine faire Zusammenarbeit zu gewährleisten. 

Haben Sie rechtliche Fragen zum Thema Scheinselbstständigkeit? Benötigen Sie Unterstützung bei der Einordnung eines Beschäftigungsverhältnisses, um Scheinselbstständigkeit zu vermeiden? Unsere Expertin Louisa Reitemeier steht Ihnen jederzeit zur Seite und beantwortet Ihre Fragen. Eine rechtliche Beratung kann im Zweifelsfall helfen, Risiken zu minimieren. 

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