
12. Juni 2025
Zwangsversteigerung in der Insolvenz: Wann wird die Steuer zur Masseverbindlichkeit?
Im Rahmen seines Urteils vom 12. November 2024 (Az. IX R 6/24) entschied der Bundesfinanzhof (BFH), dass der Zuschlag in einem Zwangsversteigerungsverfahren nach der Insolvenzeröffnung, trotz vorheriger Beschlagnahme, ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft darstellt. Viel erheblicher für Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner war aber in diesem Zuge die Beantwortung der Frage: Handelt es sich bei der Steuerschuld um eine Masseverbindlichkeit?
Was war der Hintergrund der Zwangsversteigerung und des Steuerstreits?
Der Kläger, Insolvenzverwalter im Verfahren über das Vermögen eines Schuldners, dessen Eigentumswohnung wegen Steuerschulden zwangsversteigert wurde, erlangte nach der Insolvenzeröffnung den über den an den absonderungsberechtigten Insolvenzgläubiger abzuführenden Betrag hinausgehenden Versteigerungserlös. Das zuständige Finanzamt behandelte den Überschuss als Veräußerungsgewinn und die aus seiner Sicht entstandene Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit. Es erließ einen entsprechenden Steuerbescheid, gegen den der Einspruch erfolglos blieb. Vor dem Finanzgericht Münster (FG Münster) konnte der Kläger obsiegen. In der darauffolgenden Revision argumentiert das Finanzamt, die Steuer sei durch das FG Münster zu Unrecht nicht als Masseverbindlichkeit gewertet worden.
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Die Ansicht des BFH
Der BFH zementiert mit seiner aktuellen Entscheidung seine Rechtsprechung zur Besteuerung stiller Reserven. Er sieht den Zuschlag in der Zwangsversteigerung als Veräußerung. Nach Auffassung des Gerichts erfasst § 23 Abs. 1 EStG auch Vorgänge, die wirtschaftlich einem Kauf entsprechen. Der Zuschlag gilt somit als entgeltliche Veräußerung, da der Höchstbietende einen Anspruch auf Eigentumserwerb erlangt. Ziel der Vorschrift sei die Besteuerung von Wertsteigerungen innerhalb der Spekulationsfrist – unabhängig von der Absicht des Steuerpflichtigen.
Ein weiteres Kernelement der Entscheidung des BFH bestand in der Beantwortung der Frage, ob die aus einer Zwangsvollstreckung resultierende Einkommenssteuer als Masseverbindlichkeit einzuordnen ist. In erster Instanz entschied das FG Münster noch, dass eine Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn nicht als Masseverbindlichkeit gilt, wenn die Beschlagnahme des Grundstücks vor, die Versteigerung aber nach Insolvenzeröffnung erfolgte. Es stützte seine Entscheidung auf ein älteres Urteil des BFH von 1978 (VIII R 28/73). Damals lehnte der BFH eine Zuordnung der Steuerschuld als Masseverbindlichkeit ab. Ein neueres Urteil des BFH von 2020 (X R 13/19) hingegen bejahte das Vorliegen einer Masseverbindlichkeit. Das FG Münster verglich die beiden Urteile miteinander und folgerte, dass der Zeitpunkt der Beschlagnahme entscheidend für die Einordnung sei.
Der BFH war anderer Auffassung und stellte klar, dass es weder auf den Zeitpunkt der Beschlagnahme des zur Insolvenzmasse gehörenden und mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks ankomme noch auf die Möglichkeit für den Kläger als Insolvenzverwalter, das Grundstück zu verwerten. Das Grundstück sei bis zur Verwertung Teil der Insolvenzmasse gewesen. Der Insolvenzverwalter habe bis zum Versteigerungstermin die Möglichkeit gehabt, das Grundstück aus der Insolvenzmasse freizugeben. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass bei einem Versteigerungserlös, der, wie hier, über den an den absonderungsberechtigten Gläubiger abzuführenden Betrag hinausgehe, ein Erlös der Masse zufließe und diese bereichere. Es sei systemwidrig, wenn der zusätzliche Erlös der Masse zufließe, diese aber die Steuer nicht trage.
Unsere Einschätzung
Die Entscheidung des BFH ist von besonderer Relevanz für Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner. Gerade Insolvenzverwalter werden sich die Frage stellen müssen, ob sie in derartigen Konstellationen Immobilien aus der Insolvenzmasse freigeben. Wird nämlich ein belasteter Gegenstand aus der Insolvenzmasse freigegeben, entfällt die Massezugehörigkeit, ein Veräußerungsgewinn wäre dem Schuldner zuzurechnen. Ohne Freigabe bleibt der Gegenstand Teil der Insolvenzmasse, mit allen steuerlichen Konsequenzen.
Haben Sie Fragen zur Besteuerung stiller Reserven oder Fragen zu insolvenzrechtlichen Anliegen? Unsere Experten Andreas Claes aus unserer Steuerabteilung und Patrick Bank aus unserer Rechtsabteilung stehen Ihnen gerne beratend zur Seite.
Vermerk: Bitte beachten Sie, dass in diesem Dokument bei den durch Gesetze festgeschriebenen Begriffen auf das Gendern verzichtet wird, um die juristische Präzision und Klarheit zu wahren. In allen anderen Textteilen wird eine gendergerechte Sprache verwendet, um die Gleichstellung aller Geschlechter zu fördern.