BFH urteilt zum 90%-Test für Verwaltungsvermögen
© nmann77 / Adobe Stock

19. Dezember 2023

BFH urteilt zum 90%-Test für Verwaltungsvermögen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 13.09.2023 zur Anwendung des sogenannten 90%-Tests und der Auslegung des §13b Abs. 2 Satz 2 Erbschaftsteuergesetz (ErStG) bei Verwaltungsvermögen geurteilt. Hier ist der sogenannten 90%-Test geregelt. Für Unternehmen, die im Sinne des §15 Abs. 1 Nr. 1 EStG originär gewerblich tätig sind, wird der § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG so ausgelegt, dass betrieblich veranlasste Schulden von den Finanzmitteln abgezogen werden. In der Beratungspraxis wurde dieses Urteil lange erwartet und trifft jetzt auf Zustimmung. Was Sie wissen müssen, finden Sie hier. 

Verwaltungsvermögen: Der 90-Prozent-Test

Die Steuerbefreiungen für Unternehmensvermögen gemäß §13a ErbStG werden nur gewährt, wenn der 90%-Einstiegstest bestanden ist. Hierbei wird das Brutto-Verwaltungsvermögen, also das Verwaltungsvermögen vor Abzug der betrieblichen Schulden, zum gemeinen Wert des Unternehmens ins Verhältnis gesetzt. Dies führte oftmals dazu, dass die Steuerbefreiungen für Unternehmensvermögen nicht gewährt werden konnten, wenn die Quote bei mehr als 90% lag.

Der 90%-Test war bereits seit seiner Einführung in das Erbschaftsteuergesetz stark umstritten, weil „Äpfel mit Birnen“ verglichen werden. Konkret: Verwaltungsvermögen vor Abzug von betrieblichen Schulden zu einem gemeinen Wert des Unternehmens unter Berücksichtigung betrieblicher Schulden.

In der Beratungspraxis gab es Fälle, in denen Unternehmen den 90%-Einstiegstest nicht bestanden, das Verwaltungsvermögen nach Abzug der betrieblichen Schulden aber so gering war, dass sogar eine vollständige Steuerbefreiung (Optionsverschonung) hätte beantragt werden können.

Was ist ein Verwaltungsvermögen?

Zur Veranschaulichung ein stark vereinfachtes Schaubild: 

Im Sinne der Vorschrift wird das Unternehmensvermögen in das Produktivvermögen (erbschaft-/schenkungsteuerlich gutes Vermögen) und das Verwaltungsvermögen (erbschaft-/schenkungsteuerlich schlechtes Vermögen) unterteilt. Grundsätzlich wird das gesamte Unternehmen betrachtet. Dafür muss auch das Verwaltungsvermögen zu gemeinen Werten herangezogen werden. Wird zum Beispiel ein Grundstück an Dritte überlassen oder hält das zu übertragende Unternehmen Anteile an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft mit einer Beteiligungsquote von 25 Prozent oder weniger, muss sowohl das Grundstück als auch die Kapitalgesellschaft bewertet und entsprechend als Verwaltungsvermögen berücksichtigt werden.

BFH-Urteil zum 90%-Test für Verwaltungsvermögen: So lief das Verfahren

Der Kläger hatte von seinem Vater schenkweise alle Anteile an einer GmbH erworben. Die GmbH war ein pharmazeutisches Handelsunternehmen mit Tätigkeit in Vertrieb und Forschung. Das Finanzamt stellte einen gemeinen Wert der Anteile an der GmbH in Höhe von 555.975 Euro fest. Finanzmittel lagen laut Feststellung des Finanzamtes in Höhe von 2.517.649 Euro vor, davon waren 60.000 Euro junge Finanzmittel. Das Verwaltungsvermögen wurde vom Finanzamt mit 0 Euro festgestellt. Zusätzlich stellte das Finanzamt fest, dass der Hauptzweck der Tätigkeit der GmbH eine Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG sei, diese also originär gewerblich tätig ist.

Das Finanzamt erläuterte im Feststellungsbescheid, dass die Steuerbefreiungen gemäß §13a ErbStG nicht gewährt werden könnten, weil der 90%-Eingangstest nicht erreicht sei.

Die Klage vor dem Finanzgericht Münster hatte Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts sei der 90%-Einstiegstest im Wege einer teleologischen Reduktion dahingehend einschränkend auszulegen, dass der 90%-Einstiegstest nicht anzuwenden sei, wenn der Hauptzweck des Unternehmens eine Tätigkeit im Sinne der §§ 15 Abs. 1 Nr. 1 oder § 18 Abs. 1 Nr. 1und Nr. 2 EstG sei.

Hiergegen ging das Finanzamt in Revision.

Das BFH-Urteil zum Verwaltungsvermögen 

Nach Auffassung des BFH verfolge der Gesetzgeber mit der Einführung des 90%-Einstiegstest das Ziel, missbräuchliche Gestaltungen zur Gewährung der Steuerbefreiungen gemäß §13a ErbStG zu vermeiden.

Der BFH geht in seiner Urteilsbegründung eingehend auf die mathematische Berechnung der 90%-Quote sowie auf die Formulierung des Gesetzestextes ein. Er stellt fest, dass die Berechnungsformel dazu führen kann, dass für grundsätzlich begünstigungsfähiges Vermögen eines gewerblich tätigen Unternehmens aufgrund der Fallbeilwirkung des 90%-Eingangstest keine Steuerbefreiung gemäß §13a ErbStG gewährt wird. Und das, obwohl das Verwaltungsvermögen 0 Euro beträgt.

Daher sei bei Unternehmen, die eine originär gewerbliche Tätigkeit ausüben, § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG dahingehend zu verstehen, dass für den 90%-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden abzuziehen seien.  

Unsere Einschätzung

Wir begrüßen das Urteil. Der 90%-Einstiegstest führte oftmals dazu, dass die Steuerbefreiung bei einem hohen Finanzmittelbestand nicht gewährt werden konnte, obwohl das Verwaltungsvermögen nach Abzug der Verbindlichkeiten (Nettobetrachtung) insgesamt 0 Euro betrug. Diese Fallbeilwirkung konnten wir Mandant:innen in der Beratungspraxis oft kaum erklären. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung nun auf dieses Urteil reagieren wird. Unsere Empfehlung: Als betroffenes gewerbliches Unternehmen sollten Sie in allen offenen Fällen, in denen die Steuerbefreiung wegen Überschreitens der 90%-Eingangsquote nicht gewährt wurde, jetzt eine Änderung beantragen.

Ob der Gesetzgeber den 90%-Eingangstest aus dem Gesetz streichen wird oder ob der Gesetzestext an das BFH-Urteil angepasst wird, steht noch nicht fest. Wir halten Sie informiert.

Wenden Sie sich bei Fragen zum Thema gerne an Akram Juja und Stephanie Ernst

Akram Juja

Associate Partner, Steuerberater, Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.), Master of Science, Leiter Unternehmens- und Vermögensnachfolge

Stephanie Ernst

Prokuristin, Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin, Fachberaterin für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.)

Tags

Expert:innen zu diesem Thema

Keine passenden Personen gefunden.

Das könnte Sie auch interessieren

  • Sorgfaltspflichten der Mitglieder der Unternehmensleitung im EU Lieferkettengesetz

    Bei Unternehmensverkäufen werden neben dem festen Kaufpreis häufig auch variable Zahlungen vereinbart, die an zukünftige Unternehmensleistungen geknüpft sind. Diese Earn-Out Zahlungen dienen der genaueren Erfassung des tatsächlichen Werts eines Unternehmens zum Zeitpunkt des Verkaufs. Sie setzen darüber hinaus Anreize für [...]

    Tim Weyers

    02. Mai 2024

  • Wachstumschancengesetz: Änderungen bei Vermächtnissen im Erbschaftsteuergesetz

    Am 22.03.2024 hat das Wachstumschancengesetz durch die Zustimmung des Bundesrates die letzte Hürde im Gesetzgebungsverfahren genommen. Durch das Wachstumschancengesetz soll der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt und das Steuersystem an zentralen Stellen vereinfacht und modernisiert werden. Auch im Bereich der Erbschaft- und [...]

    Akram Juja

    22. Apr 2024

  • Scheinselbstständigkeit von Lehrkräften: Neues Urteil des BSG 

    Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Juni 2022 (B 12 R 3/20 R) zur Statusfeststellung einer Lehrerin an einer Musikschule markiert einen Wendepunkt in der Praxis. In Zukunft könnten vermeintlich selbstständige Lehrkräfte verstärkt ins Visier von Prüfungen und Gerichtsverfahren [...]

    Louisa Reitemeier

    18. Apr 2024