
19. August 2025
BAG kippt Verfallsklauseln für „gevestete“ virtuelle Optionsrechte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Inhaltsverzeichnis
- Welche rechtlichen Unsicherheiten bestehen bei virtuellen Optionsrechten?
- Arbeitsgerichtliche Rechtsprechung: Warum die Verfallklauseln zunehmend auf dem Prüfstand stehen
- Ausgangslage: Wie kam es zur Klage gegen den Optionsverfall?
- Was sind „gevestete“ virtuelle Optionen?
- BAG: Warum der Verfall „gevesteter“ virtueller Optionen nach Eigenkündigung unzulässig ist
- Warum die Verfallsregelung eine wirtschaftliche und zeitliche Benachteiligung für den Arbeitnehmer ist
- BAG vollzieht Kurswechsel bei Verfallsklauseln
In der modernen Arbeitswelt gewinnen virtuelle Mitarbeiterbeteiligungsprogramme – insbesondere sogenannte Virtual Stock Option Plans (VSOP) oder Employee Stock Option Plans (ESOP) – zunehmend an Bedeutung. Sie sollen qualifizierte Fachkräfte motivieren, langfristig binden und am wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens beteiligen, ohne ihnen echte Gesellschafterrechte einzuräumen.
Welche rechtlichen Unsicherheiten bestehen bei virtuellen Optionsrechten?
Die versprochenen Vorteile für Arbeitnehmer:innen stehen jedoch oft unter dem Vorbehalt komplexer vertraglicher Regelungen: Vesting-Perioden, Ausübungsereignisse und vor allem Verfallklauseln können den wirtschaftlichen Wert solcher Programme deutlich schmälern.
Spätestens mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt sich häufig die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bereits erworbene virtuelle Optionsrechte bestehen bleiben, ausgeübt werden können oder ersatzlos verfallen.
Arbeitsgerichtliche Rechtsprechung: Warum die Verfallklauseln zunehmend auf dem Prüfstand stehen
Die rechtliche Einordnung dieser Modelle bewegt sich dabei im Spannungsfeld von arbeitsrechtlicher AGB-Kontrolle, Vertragsfreiheit und Treu und Glauben – und ist in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zunehmend Gegenstand von Streitigkeiten.
So auch in einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 19.3.2025 – Az. 10 AZR 67/24): In diesem Fall hatte sich ein ehemaliger Mitarbeiter gegen den Verfall ihm zugesprochener virtueller Optionsrechte zur Wehr gesetzt.
Ausgangslage: Wie kam es zur Klage gegen den Optionsverfall?
Der Kläger war zwischen April 2018 und August 2020 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt und hatte während des laufenden Arbeitsverhältnisses im Jahr 2019 23 virtuelle Aktienoptionsrechte im Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms (ESOP) erhalten. Diese Rechte unterlagen einer vierjährigen Vesting-Periode sowie weiteren Voraussetzungen für die Ausübung, darunter insbesondere ein sogenanntes Ausübungsereignis wie ein Börsengang.
Nach seiner Eigenkündigung machte der Kläger im Juni 2022 Ansprüche aus den zum Zeitpunkt seines Ausscheidens bereits „gevesteten“, jedoch noch nicht ausgeübten Optionen geltend. Die Arbeitgeberin lehnte dies unter Berufung auf eine Verfallregelung im ESOP ab – zu Recht, wie Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht meinten.
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Was sind „gevestete“ virtuelle Optionen?
Virtuelle Optionen gewähren Arbeitnehmern einen Anspruch auf eine erfolgsabhängige Auszahlung – typischerweise bei einem Exit-Ereignis wie einem Börsengang oder Unternehmensverkauf – ohne dass ihnen echte Gesellschaftsrechte eingeräumt werden. Sie sind häufig Bestandteil von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen (z. B. ESOP oder VSOP).
„Gevestet“ sind solche Optionen, wenn sie im Rahmen einer vereinbarten Vesting-Periode bereits unwiderruflich erworben wurden – meist abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Gevestete virtuelle Optionen stellen damit regelmäßig eine Gegenleistung für bereits erbrachte Arbeitsleistung dar und sind rechtlich besonders schutzwürdig, insbesondere bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
BAG: Warum der Verfall „gevesteter“ virtueller Optionen nach Eigenkündigung unzulässig ist
In der Revisionsinstanz gab das Bundesarbeitsgericht dem klagenden Arbeitnehmer Recht: Die bereits „gevesteten“ virtuellen Optionsrechte waren nach Auffassung des 10. Senats nicht erloschen. Maßgeblich sei, dass es sich bei dem zugrunde liegenden Mitarbeiterbeteiligungsprogramm (ESOP) um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handelte. Die darin enthaltenen Verfallklauseln, die an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpften, hielten der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand.
Das Gericht betonte, dass die gestaffelte Zuteilung der virtuellen Optionen über die Vesting-Periode hinweg zumindest teilweise eine Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt. Dies ergebe sich auch aus der vertraglich vorgesehenen Unterbrechung des Vesting-Zeitraums während Phasen ohne Entgeltanspruch – was den unmittelbaren Leistungsbezug verdeutliche. Eine Regelung, wonach diese erworbenen Rechte nach Kündigung durch den Arbeitnehmer ersatzlos verfallen, sei mit dem arbeitsrechtlichen Grundsatz des § 611a Abs. 2 BGB nicht vereinbar und benachteilige Beschäftigte unangemessen.
Warum die Verfallsregelung eine wirtschaftliche und zeitliche Benachteiligung für den Arbeitnehmer ist
Darüber hinaus stelle der sofortige Verfall „gevesteter“ Optionen eine faktische Hürde für die Ausübung des Kündigungsrechts dar: Um finanzielle Nachteile zu vermeiden, könnte der Optionsinhaber versucht sein, das Arbeitsverhältnis allein wegen der ungewissen Möglichkeit eines zukünftigen Ausübungsereignisses fortzusetzen.
Auch die abgestufte Verfallregelung in Nr. 4.5 ESOP beanstandete das Gericht: Zwar trage sie dem Umstand Rechnung, dass sich der Beitrag des ausgeschiedenen Mitarbeiters zum Unternehmenserfolg mit der Zeit relativiert. Sie gestatte jedoch einen Verfall in einem Tempo, das im Verhältnis zur zuvor vorgesehenen Vesting-Dauer unangemessen sei: Konkret konnten Optionen doppelt so schnell verfallen, wie sie aufgebaut worden waren.
BAG vollzieht Kurswechsel bei Verfallsklauseln
Mit seiner aktuellen Entscheidung hat das BAG seine bisherige Linie zur Wirksamkeit von Verfallsklauseln in Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen aufgegeben. Während bislang auch der ersatzlose Verfall bereits ausübbarer Optionsrechte als zulässig galt – unter Verweis auf deren spekulativen Charakter – betont das Gericht nun den Vergütungscharakter „gevesteter“ Optionen. Diese seien als Gegenleistung für geleistete Arbeit zu verstehen und dürften daher nicht ohne weiteres verfallen. Was nach der Kehrtwende in der Rechtsprechung nun für Unternehmen wichtig ist: Unsere Einschätzung
Für Unternehmen ergibt sich daraus akuter Anpassungsbedarf: Die vertraglichen Regelungen in bestehenden Beteiligungsprogrammen sollten sorgfältig auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.
Besonders kritisch ist der Umgang mit ehemaligen Mitarbeitenden, deren Optionsrechte unter der alten Rechtsauffassung bereits aberkannt wurden. Soweit Verjährung noch nicht eingetreten ist, drohen Rückforderungen – und damit möglicherweise auch gerichtliche Auseinandersetzungen über die wirtschaftliche Teilhabe an „gevesteten“ Optionen.
Haben Sie Fragen zum Thema Virtuelle Optionsrechte oder zur Gestaltung arbeitsrechtlicher Klauseln? Unsere Expertin Louisa Reitemeier steht Ihnen gerne beratend zur Seite. Nehmen Sie einfach Kontakt auf.