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14. Juli 2025

Steuerzinsen auf dem Prüfstand: Was sich jetzt für Steuerpflichtige ändern kann 

Kategorien: Rechtsberatung

Steuerliche Zinsen waren lange Zeit ein Nischenthema – doch seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit der Nachzahlungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) im Jahr 2021 geraten sie zunehmend in den Fokus, insbesondere aufgrund der seit 2009 beginnenden Niedrigzinsphase. Nun weitet sich die Diskussion aus: Der Bundesfinanzhof (BFH) hat jüngst Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der nationalen Aussetzungszinsen geäußert.  Gleichzeitig werden seitens der Rechtsprechung Zinsansprüche aus dem Unionsrecht abgeleitet. Diese Entwicklungen können das Steuerverfahrensrecht erheblich beeinflussen.  


Zinsen nach nationalem Recht 

Nach der Abgabenordnung findet eine Verzinsung nur statt, soweit dies durch Bundesrecht oder Unionsrecht vorgeschrieben ist (vgl. § 233 S. 1 AO). Weitere Einzelheiten dazu regeln die §§ 233a ff. AO.  Beispielsweise sieht § 233a Abs. 1 AO vor, dass der Unterschiedsbetrag der Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer zu verzinsen ist, während eine Verzinsung für die Festsetzung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen, wie beispielsweise der Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags ausscheidet. Die Zinsen während der Aussetzung der Vollziehung regelt § 237 AO, wobei die Einzelheiten zur Höhe und Berechnung in § 238 AO normiert sind. 

Warum zweifelt der BFH neuerdings auch an der Verfassungsmäßigkeit der Aussetzungszinsen? 

Der BFH hatte in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits mehrfach Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Aussetzungszinsen in Bezug auf deren Höhe geäußert (siehe dazu BFH, Beschl. v. 03.09.2018, VIII B 15/18, BFH, Beschl. v. 04.07.2019, VIII B 128/18). Mit Beschluss vom 18.03.2024 (VIII R 9/23) hat der BFH erstmals in einem Hauptsacheverfahren dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob der aktuell geltende Zinssatz von 0,5% pro Monat für Aussetzungszinsen gem. § 237 AO für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 mit dem Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Grundgesetz vereinbar ist. Die Diskussion über die Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe ist nicht neu – schließlich hatte das BVerfG (Beschl. v. 08.07.2021, 1 BvR 2237/14 u. 1 BvR 2422/17) bereits die Nachzahlungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit eben dieser Begründung für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber passte daraufhin insoweit § 233a AO an. Ab dem 01.01.2019 liegen die Nachzahlungszinsen nach § 233a AO bei 0,15% bzw. jährlich bei 1,8 %. Eine Anpassung der Aussetzungszinsen nach § 237 AO erfolgte hingegen nicht.  Folgerichtig steht nun auch der §237 AO auf dem Prüfstand.  

Kernproblem bei den Aussetzungszinsen ist, dass Steuerpflichtige, die sich gegen einen Steuerbescheid wehren und während des Einspruchsverfahrens eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) erwirken, bei Unterliegen nicht nur die ausgesetzte Steuer, sondern auch 0,5% pro Monat Zinsen für den Zeitraum nachzahlen müssen, für welchen die Aussetzung gewährt wird. Aufgrund der langen Verfahrensdauer in Einspruchs- und Gerichtsverfahren kann im Einzelfall dadurch eine beachtliche Summe zusammenkommen. Bestehen Unsicherheiten über die Rechtmäßigkeit und den Erfolg des Rechtsmittels/-behelfs ist im Einzelfall zu prüfen, inwiefern die Zahlung der strittigen Steuer vorzugswürdig ist, unter Berücksichtigung der im Einzelfall potenziell anfallenden Aussetzungszinsen. Der BFH kritisiert in seiner Vorlage unter anderem, dass dieser Zinssatz in Zeiten dauerhaft niedriger oder sogar negativer Realzinsen nicht mehr verhältnismäßig sei. In der Folge würden Betroffene finanziell benachteiligt, obwohl sie lediglich ihren Anspruch auf rechtliches Gehör wahrgenommen hätten.  Im Übrigen, so der BFH, stelle die unterschiedliche Höhe der Nachzahlungszinsen einerseits und der Aussetzungszinsen andererseits ab 2019 eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. 


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Ob und wie das BVerfG (Verfahren läuft unter dem Aktenzeichen 1 BvL 8/24) nun reagiert, bleibt offen – doch für viele laufende Verfahren könnte die Entscheidung erhebliche finanzielle Auswirkungen haben.  Es empfiehlt sich daher bereits jetzt, entsprechende Zinsfestsetzungen der Finanz- und Zollämter offen zu halten und nach § 363 Abs. 2 S. 2 AO ruhend zu stellen, soweit die Zeiträume vom 1. Januar 2019 bis zum 15. April 2021 betroffen sind. Für Zeiträume danach könnte ein Ruhen des Verfahren nach § 363 Abs. 2 S. 1 AO beantragt werden. Denkbar wäre ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung auch hinsichtlich der Aussetzungszinsen. Denn Zinsen auf die Aussetzungszinsen fallen gem. § 233 S. 2 AO grundsätzlich nicht an. 

Was gilt für die Verzinsung von Kapitalertragsteuer-Erstattungen? 

Nahezu zeitgleich entschied der BFH in einem weiteren Verfahren (BFH, Urt. v. 25.02.2025, VIII R 32/21), wie der Zinslauf bei Erstattungen von Kapitalertragsteuer zu handhaben ist (siehe dazu bereits ausführlich: Verzinsung bei Rückerstattung der Kapitalertragsteuer – BFH Urteil sorgt endlich für Klarheit) . Dabei ging es um einen konkreten Fall, in dem Kapitalertragsteuer irrtümlich einbehalten und später zurückgefordert wurde, unter Berufung auf eine Freistellungsbescheinigung nach §50d Abs. 1 EStG und europarechtliche Vorschriften.  Eine Verzinsung nach der Abgabenordnung kommt für Abzugsbeträge hinsichtlich der Kapitalertragsteuer allenfalls gemäß § 236 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AO durch die Festsetzung von Prozesszinsen in Betracht, wenn die gemäß § 168 AO vom Steuerentrichtungspflichtigen angemeldeten Steuerbeträge aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder eines gleichgestellten Vorgangs herabgesetzt und erstattet werden.  Dies kam im entschiedenen Fall nicht Betracht. Der BFH stellte allerdings klar, dass die streitigen Erstattungsbeträge zur Kapitalertragsteuer und zum Solidaritätszuschlag nach dem aus dem Unionsrecht abzuleitenden Verzinsungsanspruch zu verzinsen sind. Danach sind die Mitgliedsstaaten aus dem Unionsrecht verpflichtet, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuerbeträge zuzüglich Zinsen zu erstatten. Die Verzinsung beginnt drei Monate nach Eingang des Erstattungsantrags beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) – und nicht etwa rückwirkend zum Zeitpunkt der Steuerabführung. Hinsichtlich der Höhe der Zinsen verweist der BFH auf § 238 AO, wobei die Zinsen für den maßgeblichen Verzinsungszeitraum taggenau ab dem Tag zu berechnen sind, der auf den Ablauf des dreimonatigen Bearbeitungszeitraums nach Eingang des Erstattungsantrags folgt, bis zu dem Auszahlungstag des Erstattungsbetrags.  

Unionsrechtliche Zinsansprüche auch für andere Steuern und Abgaben 

Ähnliche Entscheidungen für Zinsansprüche aus dem Unionsrecht sind beispielsweise auch bei Einfuhrabgaben (FG Hamburg, Urt. v. 23.09.2022, 4 K 67/18), Antidumpingzöllen (FG Hamburg, Beschl. v. 01.09.2020, 4 K 14/20) und der Stromsteuer (EuGH, Urt. v. 09.09.2021, C-100/20) ergangen. Diese Steuerarten sind nicht in § 233a Abs. 1 AO genannt. Zinsansprüche können daher für den Steuerpflichtigen mit Ausnahme der Prozesszinsen und Aussetzungszinsen bei jeweils positiven Entscheidungen nicht aus nationalem Recht abgeleitet werden. Auch hier hilft das Unionsrecht, einen Zinsanspruch zu begründen, obschon das nationale Recht keine Verzinsung vorsieht. Handelt die Zollverwaltung im Rahmen der Festsetzung von Steuern oder Steuererstattungen unionsrechtswidrig, ohne dass sich ein Verfahren der Aussetzung der Vollziehung anschließt oder gar ein Gerichtsverfahren zugunsten des Steuerpflichtigen ausgeht, kann sich ein Zinsanspruch auch aus dem Unionsrecht ergeben. In jedem Fall sollten derartige Zinsansprüche geprüft und – wichtig – auch beantragt werden.  

Achtung: BFH hält Säumniszuschläge weiterhin für verfassungsgemäß 

Anders hingegen ist die Beurteilung des BFH zur Behandlung von Säumniszuschlägen.  Der BFH bestätigte seine bisherige Rechtsprechung und sieht auch für Zeiträume nach dem 31.12.2018 weder verfassungsrechtliche noch unionsrechtliche Bedenken (vgl. BFH, Urt. v. 19.02.2025, XI R 18/23). Ausführlicher geht der BFH dabei auf die Einordnung von Säumniszuschlägen als verwaltungsrechtliche Sanktion ein und betont, dass diese gerade keine Maßnahme strafrechtlicher Art darstelle und demnach auch nicht als “Straftat” im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EMRK zu verstehen sei. Zudem hebt der BFH erneut hervor, dass die Rechtsprechung des BVerfG zur Unvereinbarkeit von Nachzahlungszinsen gem. §§ 233a, 238 AO mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf Säumniszuschläge zu übertragen sind. Eine Änderung der Rechtsprechung ist daher eher nicht zu erwarten, so dass Steuerpflichtige unverändert von der Erhebung der Zuschläge ausgehen müssen.  

Was sollten Steuerpflichtige jetzt tun? Unsere Einschätzung 

Für Steuerpflichtige bedeutet das vor allem eines: Genau hinsehen, ob Zinsbescheide rechtmäßig sind und ob sich gegebenenfalls ein Einspruch lohnt. Ferner muss gerade in den national nicht geregelten Fällen geprüft werden, ob nicht ein Anspruch direkt aus dem Unionsrecht geltend gemacht werden kann. Je nach Höhe der jeweils zu erwartenden Zinsen sollte in jedem Fall ein Antrag auf Zinsfestsetzung gestellt werden.  Denn in Abhängigkeit vom Ausgang der Verfahren sind Erstattungszinsen in nicht unerheblicher Höhe möglich.  

Fazit: Steuerzinsen sind kein rein nationales Thema mehr, da gegebenenfalls unionsrechtliche Grundsätze zu berücksichtigen sind und so im Einzelfall eine erhöhte Komplexität gegeben ist. Betroffene sollten daher steuerliche Zinsbescheide nicht ungeprüft hinnehmen. Zinsbescheide sollten offengehalten und Anträge auf Verzinsung gestellt werden. Letzteres gilt insbesondere in den Fällen, in denen die nationalen Vorschriften keine Zinsansprüche vorsehen, aber im Rahmen der Steuerfestsetzung gegen Unionsrecht verstoßen wurde und ein Zinsanspruch direkt aus dem Unionsrecht abgleitet werden kann.  

Bei Fragen unterstützt Sie unser Rechtsanwalt und Steuerberater Tino Wunderlich oder Rechtsanwältin Dr. Magdalena Vogt. Jetzt einfach Kontakt aufnehmen. 

Tino Wunderlich

Partner, Rechtsanwalt und Steuerberater

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